29. November 2023
Lesedauer 5 Minuten

bachrauf-Serie: Verkehrswende
Teil 6

Über die Serie
Der Transport von Menschen und Gütern erleichtert das Leben, ist aber vielerorts längst noch keine Selbstverständlichkeit. In ländlichen Regionen kommt man oft kaum weg vom Fleck – nicht nur, aber vor allem im globalen Süden. In den weltweit schnell wachsenden Städten dagegen breitet sich der Autoverkehr noch immer weiter aus. Gleichzeitig bedroht das Auto den menschlichen Lebensraum – weil es Abgase und Lärm verursacht, zur Erderwärmung beiträgt und öffentlichen Raum beansprucht.

Wie können wir ihn den Menschen zurückgeben? Wie lässt sich der Lieferverkehr neu organisieren? Was bringt eine Automatisierung des Verkehrs? Und welche Rolle spielen dabei Schiene, Rufbusse und Fahrräder?

In dieser Artikelreihe beschäftigt sich Fritz Vorholz mit sechs Vorschlägen für eine nachhaltige Verkehrswende.

Laut dem „World Cities Report 2022“ der Vereinten Nationen wachsen Städte gerade in ärmeren Ländern massiv, bis 2050 mit einer Rate von 65 Prozent im Vergleich zu einem nur zwölfprozentigen Wachstum in Ländern mit eher mittleren und höheren Einkommen. Vor allem in Afrika vollziehen sich Urbanisierungsprozesse mit einer auch auf anderen Kontinenten noch nie dagewesenen Geschwindigkeit. Dieses Wachstum erfolgt ungesteuert und meist in der Fläche, was einen hohen Mobilitätsbedarf verursacht.

66 %

des urbanen Raums, über den Afrika im Jahr 2050 verfügen wird, existiert heute noch gar nicht. 900 Millionen neue Stadtbewohner werden auf gute Mobilität angewiesen sein.

Doch öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), der eine bezahlbare Fortbewegung und damit einen wirtschaftlichen Aufstieg ermöglichen könnte, ist gerade dort Mangelware, weil es an finanziellen Möglichkeiten fehlt. Kein Geld, kein ÖPNV. Kein ÖPNV, keine bezahlbare Massenmobilität.

Oft sind private Sammeltaxis die einzige Möglichkeit, in Metropolen des Globalen Südens längere Strecken zurückzulegen. Dafür fehlen aber vielen Menschen die Mittel. Wer 20 bis 50 Prozent seines Einkommens für den Weg zur Arbeit ausgeben muss, was im Globalen Süden auf nennenswerte Teile der Bevölkerung zutrifft, kann sich den Weg zum Job irgendwann nicht mehr leisten und rutscht weiter in die Armut ab.

Fahrer eines Sammelbusses, der in die Kamera lacht

Video: Mit Style durch den Stau: Sammeltaxis in Kenia, sogenannte Matatus. 2016 (1:35 Min., via yewtu.be)

Die Welt wird zwar immer mehr Stadt, trotzdem leben 44 Prozent aller Menschen noch in ländlichen Regionen. In den am wenigsten entwickelten Ländern sind es deutlich mehr, doch selbst in der Europäischen Union wohnt noch jeder Vierte auf dem Land. Dort, in den dünn besiedelten Gebieten, ist die Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine technische, aber vor allem auch eine finanzielle Herausforderung. Taktung und Bedienzeiten sind eingeschränkt, die Gebietsabdeckung ist unzureichend.

Als wichtigstes Transportmittel herrscht deshalb insbesondere in Industrienationen uneingeschränkt der private Pkw. Auf dem Land verfügen viele Haushalt über zwei oder gar drei Autos, der öffentliche Verkehr spielt fast keine Rolle. Die Dominanz des Pkw beeinträchtigt die Umwelt – und sie benachteiligt ganze Bevölkerungsgruppen: Kinder, Ältere, Kranke, Menschen mit Behinderung und solche ohne Führerschein oder ohne die nötige Kaufkraft.

In den Ländern des Globalen Südens leben rund eine Milliarde Menschen in Dörfern, die mehr als zwei Kilometer von der nächsten ganzjährig befahrbaren Straße entfernt sind

In den Ländern des Globalen Südens ist die Lage ungleich schwieriger: Dort lebt nach Angaben der Weltbank rund eine Milliarde Menschen in Dörfern, die mehr als zwei Kilometer von der nächsten ganzjährig befahrbaren Straße entfernt sind; besonders prekär ist die Lage in einigen Ländern Afrikas. Dort kommen die Menschen nur so weit, wie ihre Füße sie tragen – und das bedeutet: Sie sind wirtschaftlich und sozial vom Rest der Welt abgeschnitten, besonders während der Regenzeit. Sind Märkte, Schulen und Krankenstationen nicht erreichbar, stagniert die wirtschaftliche Entwicklung, frisst sich die Armut fest.

Im Globalen Süden gibt es zwar inzwischen recht gut ausgebaute Überlandstraßen. Aber auf ihnen kommt man nicht in die Dörfer und zu den Feldern. Es mangelt an Zubringerstraßen, oft auch an Brücken. Vielen Menschen stehen nur Trampelpfade zur Verfügung, auf denen das Vorankommen beschwerlich und zeitraubend ist; allein Wasser oder Feuerholz zu besorgen ist eine enorme Herausforderung. Von Zugang zu Bildung und Medizin ganz zu schweigen.

1.500 US-Dollar – und damit ähnlich viel wie eine Verbrenner-Alternative – kostet das in Kenia für den afrikanischen Markt entwickelte und gebaute E-Motorrad Roam Air. Foto: Brian Siambi, roam-electric.com

„Der Wegebau ist zentral”, sagt Susanne Neubert, Co-Leiterin des Seminars für Ländliche Entwicklung der Berliner Humboldt-Universität. Und tatsächlich: Wo Wege und Straßen Menschen miteinander verbinden, geht es messbar bergauf. In äthiopischen Dörfern, die ans Wegenetz angeschlossen wurden, stieg das Konsumniveau um 16 Prozent, die Armut sank im Gegenzug leicht.

Ähnlich in Bangladesch: Weniger Armut, mehr Einkommen – obendrein besuchten mehr Kinder die Schule. In Indonesien ermöglichte der Wegebau vielen Menschen, Gesundheitsdienste in Anspruch zu nehmen, statt den traditionellen Heiler zu konsultieren.

Schmale Hängebrücke über ein Fluss-Tal, auf der Kinder laufen

Video: Endlich verbunden – Hängebrücken für das äthiopische Hochland, 2013 (3:57 Min., via yewtu.be)

In Nepal – und inzwischen auch Äthiopien – wurden mit Unterstützung von Helvetas, nach eigenen Angaben die größte schweizerische Entwicklungsorganisation, mehr als 8.000 Hängebrücken gebaut, die Wege deutlich verkürzten. Das Ergebnis: Mehr Kinder gehen zur Schule und in Gesundheitszentren steigen die Konsultationen deutlich an. An jeder fünften Brücke wurden Läden, Imbissbuden oder Reparaturwerkstätten eröffnet. Kurz: Wege führen zu Wachstum.

Das Rad neu erfinden

Fahrräder machen Dörfer mobil – wenn sie billig, robust und einfach zu reparieren sind. Das Buffalo ist ein solches Fahrrad. „Weil es Leben verändert“, gehöre es zu den besten Fahrrädern der Welt, schrieb ein Nachrichtenmagazin. Das Buffalo ist speziell für holprige, sandige oder steinige Wege konstruiert, der Gepäckträger trägt 100 Kilogramm. Mehr als 700.000 solch robuster Fahrräder hat eine Hilfsorganisation namens World Bicycle Relief bisher unter die Leute gebracht.

Jugendlicher in blauer Schuluniform mit Buffalo-Fahrrad auf rotstaubiger Straße fahrend

Video: The Power of One Buffalo Bicycle, 2021 (0:52 Min., via yewtu.be)

147 Euro finanzieren ein Buffalo, das viel in Bewegung bringt, zum Beispiel in Sambia: Nachdem sie per Fahrrad unterwegs sein konnten, brachen dort 19 Prozent weniger Mädchen die Schule ab. Außerdem fehlten sie seltener, hatten bessere Mathematik-Noten und wurden auf dem Schulweg deutlich seltener belästigt. In Kenia konnten Krankenpfleger fast doppelt so viele Patienten besuchen, nachdem sie mit einem Buffalo unterwegs waren. Und Bauern ermöglichten die Fahrräder, fast ein Viertel mehr Milch auszuliefern und ihr Einkommen entsprechend zu steigern.

Nicht auf zwei Räder und Muskelkraft, sondern auf drei und elektrischen Antrieb setzt das start-up Mobility for Africa, ein gewinnorientiertes Sozialunternehmen aus Simbabwe. Hamba („Let’s go“) ist der Spitzname des dreirädrigen, mit Wechselbatterien ausgestatteten Offroad-Gefährts, dessen Ladefläche bis zu 400 Kilogramm trägt. Per Mietkauf nutzen es vor allem meist von Frauen gemanagte Kleinbauern-Kooperativen.

Video über das Hamba, Mobility for Africa, 2023 (1:37 Min., via vimeo.com)

Die soweit möglich mit Strom aus Wasser- und Sonnenkraft betriebenen Hambas sind zwar deutlich teurer als ein Fahrrad, schleppen dafür aber auch größere Lasten und schaffen weitere Wege in kürzerer Zeit. Vor Kurzem investierte ein mit öffentlichem Geld ausgestatteter britischer Infrastrukturfonds zwei Millionen Dollar in das Start-up – für 400 weitere Hambas, 600 Wechselbatterien und acht neue Ladestationen.

Der Text erschien zuerst in „tomorrow“, dem Technologiemagazin von Schaeffler Technologies AG & Co. KG, und wurde für bachrauf.org aktualisiert/modifiziert.

Weiterführende Links:

Dr. Fritz Vorholz –
studierte in Köln Volkswirtschaft und Soziologie. Nach dem Studium arbeitete er für den Sachverständigenrat für Umweltfragen und von 1988 bis 2015 als Redakteur für die „Zeit“. Von 2016 bis Anfang 2020 leitete er die Strategische Kommunikation von Agora Verkehrswende. Seit Frühjahr 2020 arbeitet er wieder als Journalist, freiberuflich.