Foto: Martin Rasper

8. Dezember 2021
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Man soll Äußerlichkeiten nicht unterbewerten, deshalb bietet es sich an, Richard Müller erstmal über seinen Hut zu definieren. Es gibt ja einige prominente Hutträger in der Bioszene; Karl Ludwig Schweisfurth etwa, der Gründer der Herrmannsdorfer Landwerkstätten, trug einen hellbraunen hohen, der etwas altmodisch wirkte. Rudolf Bühler, der Retter des Schwäbisch-Hällischen Landschweins, trägt einen extrem breitkrempigen, der auf seinem Schädel sitzt wie hingerammt und bei dem man sich vorstellen kann, wie Bühler auf den Hirtenstock gestützt auf der Weide steht und der Hut ihm den Regen abhält.

Und Richard Müller trug auch Hut. Einen schlichten olivbraunen, manchmal einen schwarzen. Er verlieh seinem sinnlichen Gesicht und seiner sanften Art etwas Erdiges und Verwegenes – und die kleine, seitlich angesteckte Feder verstärkte den Eindruck: ein alter Indianer. Ein bayerischer Indianer aus dem Chiemgau.

Richard Müller
Richard Müller: Gründer, Visionär, Menschen-Zusammenbringer. Foto: Martin Rasper
„Wenn ich das Gefühl habe, dass sich ausreichend Leute um eine Sache kümmern, dann fühle ich mich da nicht mehr so notwendig.“

Das Interessante jedenfalls: Der Mann war ein extremer Macher. Er hat mehr Firmen und Organisationen gegründet und mitgegründet und initiiert als jeder andere in der Bioszene. Irgendwie war er immer einer der Ersten.

1975 den ersten Bioladen Münchens gegründet, den „Erdgarten“. 1980 mit Freundin und Gleichgesinnten ins Inntal gezogen, um mehr Kontakt zu dem Land zu haben, auf dem die Lebensmittel wachsen. In den achtziger Jahren im Biokreis e.V. mitgearbeitet, den Bundesverband Naturkost Naturwaren mitgegründet, die AGÖL mitgegründet, als Berater für Biobauern gearbeitet. In den Neunzigern eine Ökokontrollstelle ins Leben gerufen, dann mit zwei Mitstreitern das Konzept für einen Bio-Supermarkt entwickelt und erfolgreich umgesetzt – die Basic AG, heute eine Kette mit über 20 Märkten.

Zuvor schon eine der ersten Biofleisch-Firmen gegründet, die Chiemgauer Naturfleisch, dann das erste Bio-Schlachthaus überhaupt, in Trostberg, und zuletzt die biofair-Läden, die auf den ersten Blick wie normale Bio-Supermärkte wirken, aber mit einem feinen Unterschied: Sie betonen besonders den regionalen Aspekt und haben auch Produkte von kleinen Erzeugern im Sortiment, die beim Bio-Großhandel durchs Raster fallen.

„Ich bin nicht so der ‚Mir nach!‘-Typ“

Das Merkwürdige war, dass Müller diese Dynamik so gar nicht ausstrahlte. Wie konnte einer so viel bewegen und anstoßen, ständig auf der Suche nach etwas Neuem sein, derart mit einem offensichtlichen Gespür für den Puls der Zeit ausgestattet – und dabei statt Dynamik und Rastlosigkeit so eine Ruhe ausstrahlen, so eine Sanftheit und Selbstverständlichkeit? „Ich bin nicht so der ‚mir nach!‘-Typ“, sagte er. „Ich bin eher derjenige, der die Leute zusammenbringt und der schaut, dass das Ding ans Laufen kommt.“

Richard Müller wuchs ohne Vater auf – der starb, als er weniger als zwei Jahre alt war. Und es ist sicher kein übertriebenes Psychologisieren, wenn man davon ausgeht, dass ihn das stark geprägt hat. „Ich hatte halt das Gefühl, alles selbst ausprobieren zu müssen“, sagte er dazu. „Und ich hab immer selbst geschaut, was passt für mich.“

Andererseits muss das in ihm auch das Gefühl dafür geschärft haben, andere zu brauchen. Und diese Beziehungen zu den anderen, die man braucht, einerseits mitzudefinieren und andererseits vertrauensvoll zu gestalten. Vielleicht war das das Erfolgsgeheimnis des Richard Müller: die Fähigkeit, Leute einzubinden. „Für mich war immer wichtig, dass alle, die an einem Prozess beteiligt sind, den auch mitgestalten.“

Er kam, sah und machte

Selbst sah sich Müller dabei gar nicht als Macher. „Vieles hat sich ergeben“, erzählte er. „Ich kam immer wohin und hab‘ gesehen, was fehlt da, und dann hab‘ ich das gemacht.“

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Eine seiner neuesten Initiativen: Der biofair-Laden. Auf den ersten Blick sehen sie wie normale Bio-Supermärkte aus, haben aber einen feinen Unterschied: Sie fördern besonders regionale Produkte von kleinen Erzeugern, die beim Bio-Großhandel durchs Raster fallen. Foto: Martin Rasper

Zum Beispiel am Anfang der Erdgarten: „Da waren Leute, die wollten was machen, aber die wussten nicht, wie es geht.“ Müller wusste immerhin ein bisschen was, zwar nicht über Einzelhandel, aber über biologische Lebensmittel, denn er hatte nach abgebrochenem Politik- und Kommunikationsstudium eine Landwirtschaftslehre absolviert – auf einem biologisch-dynamischen Betrieb auf der Schwäbischen Alb, was damals noch ziemlich exotisch war. Müller und seine Freundin Aneli brachten gemeinsam mit den Mitstreitern den Laden ans Laufen.

Und so kam immer eins zum anderen. Irgendwann zum Beispiel hat er gemerkt, dass die Biobauern auf dem Land sich schwertaten, ihre Produkte zu verkaufen – also hat er sich um die Vermarktung gekümmert und unter anderem die Chiemgauer Naturfleisch gegründet.

Und als die Vermarktungskette stand, von den glücklichen Rindern auf den Weiden bis zu den zufriedenen Kunden in Rosenheim und München, da klaffte an einer Stelle trotzdem noch eine Lücke: bei der Schlachtung. Die ist im Regelfall hektisch, brutal und fehlerbehaftet, setzt die Tiere enormem Stress und unnötigem Leid aus, vom Transport bis zu den letzten Zuckungen nach falsch gesetzten Schnitten.

„Wenn der Mensch Fleisch essen will, müssen Tiere sterben“, sagte Richard Müller, „an diesem Grundproblem kommen wir nicht vorbei.“ Deshalb war ihm wichtig, dass man sich der Verantwortung stellt, es bewusst und sorgfältig macht. „In der letzten halben Stunde vor dem Schlachten kann man alles kaputtmachen, wofür sich der Bauer ein Jahr lang Mühe gegeben hat.“ Und deshalb erfand er zusammen mit dem Metzger Gregor Magg das Chiemgauer Landschlachthaus, wo die Tiere mit Respekt und ohne Stress getötet werden.

„Basic, das war dann doch nicht so mein Ding“

Wenn Müller allerdings das Gefühl hatte, dass es nun auch ohne ihn geht, dann ging er. Die Basic-Märkte waren so ein Beispiel – obwohl, da spielten noch andere Dinge mit rein. Das wurde irgendwann zu groß, da hat er schnell gemerkt, dass das nicht sein Ding ist, „der Verwaltungskram, das Management, das Aktienrecht“ – das war irgendwann weit weg von dem, was ihm am Herzen liegt, der Landwirtschaft.

Er verließ die Firma, nahm eine Auszeit, fuhr mit Aneli um die Welt, besuchte ökologische Projekte, suchte neue Inspiration. Bis ihn Basic doch wieder einholte, als der große Streit losbrach. Als der verbliebene Gründer die Lidl-Schwarz-Gruppe als Investor ins Boot holte und Kunden wie Lieferanten Sturm liefen.

Und Müller, der immer noch Anteile hielt, plötzlich als Vermittler gefragt war – aber auch als moralische Instanz und als derjenige, der notfalls auch Gerichtsverfahren nicht scheut. „Alles eine Frage der Haltung“, sagte er. Und die hatte er. Richard Müller starb 2015 im Alter von nur 66 Jahren.

Dieser Artikel ist die leicht aktualisierte Fassung eines 2014 auf bioland.de erschienenen Textes.

Martin Rasper –
in den neunziger und nuller Jahren als Redakteur zweimal Wurzeln geschlagen in der Redaktion von „natur“; davor und danach und dazwischen Autor für alles von „SZ“ und „SZ-Magazin“ über „FAS“ und „merian“ bis „P.M.“ und „EchtBayern“; zuletzt (2019-2021) zwei Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift „bienen&natur“. Mehr auf martinrasper.de.