Foto: Jürgen Hüttel, CC BY-NC 2.0, Flickr

20. Februar 2021
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Wem beim Spazierengehen ein Tagpfauenauge oder Zitronenfalter im Zick-Zack-Kurs über den Weg flattert, dem geht in aller Regel das Herz auf. Mit ihren grell leuchtenden oder stark gemusterten Flügeln ziehen Schmetterlinge alle Blicke auf sich und ernten Sympathie und Wohlwollen. Weil etliche Arten bereits mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen am Ende des Winters erscheinen, gelten die Schuppenflügler als Boten des Frühlings.

„Schuppenflügler“ heißen die Tiere aufgrund ihrer wissenschaftlichen Bezeichnung „Lepidoptera“. „Lepis“ bedeutet im Griechischen Schuppe und „Pteron“ Flügel. Die feinen Schuppen sind es letztlich, die für die Vielfalt der Farben verantwortlich sind und unser Auge in ein derartiges Entzücken versetzen.

Wie lange dies noch so sein wird, ist allerdings die Frage. Denn das durch die Arbeit des Entomologischen Vereins Krefeld im Sommer 2017 ins Blickfeld der Öffentlichkeit geratene Insektensterben, der zufolge die Biomasse der Fluginsekten zwischen 1998 und 2017 um 76 Prozent abgenommen hat, macht auch vor Schmetterlingen nicht halt.

Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz gibt es in Deutschland 3682 verschiedene Arten, weitere 317 in Österreich und der Schweiz. Die meisten sind allerdings nachaktiv: zu ihnen zählen Schwärmer, Spanner, Eulenfalter und Bären-, Birken-, Wiesen- und Pfauenspinner – insgesamt 118 verschiedene Familien. Im Volksmund werden sie allesamt als „Motten“ bezeichnet. Nur 189 Arten zählen dagegen zu den Tagfaltern. Hierzulande stehen 99 auf der Roten Liste bedrohter Arten, also mehr als die Hälfte. Fünf sind bereits ausgestorben, weitere zwölf gelten als vom Aussterben bedroht. Dass Schmetterlinge über eine Wiese oder durch den Garten flattern, ist zwar noch keine Ausnahme, aber auch keine Selbstverständlichkeit.

Die Gründe dafür sind schnell aufgezählt: In der Agrarlandschaft dominieren Weizen-, Mais- und Rapsmonokulturen, artenreiche Randstreifen sind dagegen verschwunden, Wiesen sind in der Regel überdüngt, Wildblumen und damit die Nahrungsgrundlage von Schmetterlingen verschwunden. Pestizide wiederum und vor allem die sogenannten Neonicotinoide führen zu funktionellen Störungen im Gehirn von Insekten. Nicht zuletzt werden die Wiesen zu oft und nicht insektenfreundlich gemäht. Unter Häusern, Fabrikanlagen und Straßen verschwinden ganze Lebensräume.

Mähen zu unterschiedlichen Terminen und immer nur in Teilbereichen

Um die biologische Vielfalt zu bewahren, hat die Fachgruppe Entomologie (Insektenkunde) des NABU Hamburg 2016 das Aurora-Projekt gestartet: „Hamburg soll eine Stadt der Schmetterlinge werden“, gibt der Entomologe und Projektleiter Frank Röbbelen das Ziel vor. „Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir dafür sorgen, dass die noch vorhandenen Lebensräume für die Falter erhalten und neue geschaffen werden.“ Unterstützt wird der NABU von der Stadtverwaltung: „Schmetterlinge bereiten nicht nur uns Menschen Freude“, betont Jens Kerstan, Senator für Umwelt und Energie der Hansestadt und Schirmherr des Projekts. „Der zunehmende Rückgang der Insektenarten ist alarmierend, deshalb sind Schutzmaßnahmen dringend erforderlich.“

Namensgeber für das Projekt ist der Aurorafalter, der überall in Europa, im mittleren Osten und in den gemäßigten Klimazonen Asiens bis nach Japan vorkommt. „Weil die Männchen mit ihren orangefarbenen Flügelenden an die aufgehende Sonne erinnern, haben wir unsere Initiative nach ihnen benannt“, sagt Frank Röbbelen, „als Symbol der Hoffnung.“

Die Falter sind bis heute noch mitten in der Stadt zu finden. Weil sie extensiv bewirtschaftete und nicht zu sehr gepflegte Flächen brauchen, ist ihr Bestand aber auch in Hamburg zurückgegangen. Gemeinsam mit ihren Projektpartnern – beispielsweise der Behörde für Umwelt und Energie, den Wasserwerken und den Bezirks- und Friedhofsverwaltungen – arbeiten die NABU-Leute seit vier Jahren daran, dass Naturschutzgebiete und andere ökologisch wertvolle Flächen Hamburgs so bewirtschaftet werden, dass sie Schmetterlingen in ihren verschiedenen Stadien die notwendige Nahrungs- und Lebensgrundlage bieten.

Raupe des Monarchfalters, die sich an einer Kletterrose verpuppt.
Foto: Patty O’Hearn Kickham, CC BY-NC-ND 2.0, Flickr

Anders als viele andere Insekten machen Schmetterlinge vier Stadien durch: Aus dem Ei schlüpft die Raupe, die sich irgendwann verpuppt und nach einer Metamorphose als schillernder Schmetterling aus der Puppenhülle schlüpft. Damit beginnt die letzte Phase ihres Lebens. Mit der Eiablage sorgen die Weibchen schließlich dafür, dass der Zyklus von vorne beginnt. Die meisten Schmetterlinge sterben, wenn es kälter wird, nur wenige überleben als Falter den Winter.

Grundsätzlich gilt, dass für alle Stadien der Lebensraum passen muss. Raupen haben ganz andere Ansprüche an ihre Umwelt als die ausgewachsenen Tiere. „Viele Arten legen ihre Eier nur auf ganz bestimmten Pflanzen ab, weil die sich als Nahrungspflanzen für ihre Raupen eignen“, erklärt Frank Röbbelen das Geheimnis erfolgreicher Schmetterlingspflege. „Verschwindet diese Pflanze, hat diese Art keine Lebensgrundlage mehr.“

Je nach Art fressen die Raupen Blätter, Blüten, Zweige, Holz oder Wurzeln, während sich die Falter vor allem vom Nektar verschiedener Blüten ernähren und bei ihrer Nahrungssuche Blumen, Beeren und Obstbäume bestäuben. Daher sind strukturreiche und vielfältige Lebensräume mit einer Vielzahl unterschiedlicher Wildblumen eine unerlässliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Schmetterlingsschutz. „Aurorafalter beispielsweise brauchen feuchte Wiesen oder Waldränder“, erklärt Frank Röbbelen, „sie legen ihre Eier an verschiedene Kreuzblütler wie das Wiesen-Schaumkraut und die Knoblauchsrauke.“

Ein Aurora-Falter an der Blüte eines Einjährigen Silberblatts. Foto: bratispixel, CC BY-NC 2.0, Flickr

Die Grünflächen selbst werden vom NABU und seinen Partnern so bewirtschaftet, dass sowohl die Raupen als auch die Falter etwas davon haben. „Beispielsweise mähen wir eine Wiese nicht vollständig, sondern zu verschiedenen Terminen.“ Einzelne Bereiche werden schon Anfang bis Mitte Juni gemäht, damit auch konkurrenzschwächere Kräuter wachsen können, die manche Falter für ihre Entwicklung benötigen. Andere bleiben stehen, damit dort ein Teil der Tiere ihre Entwicklung vom Ei bis zum fertigen Insekt durchlaufen kann.

Eine zweite Mahd ist heutzutage fast überall notwendig, weil – auch über die Luft – viele Nährstoffe auf die Naturschutzflächen gelangen. Auch bei der zweiten Mahd bleiben einzelne Bereiche stehen, damit auch die Insekten, deren Eier, Raupen bzw. Puppen an den Pflanzen der Wiese überwintern, eine Überlebenschance haben. „Das ist nicht unkompliziert und setzt sehr genaue Planung und gute Kooperation mit den Landwirten voraus“, so Frank Röbbelen.

Wenn es in der Stadt mehr zwitschert, flattert und brummt als in der Agrarlandschaft

Schmetterlinge sind sehr sensible Organismen, die schnell auf Umweltveränderungen reagieren. Daher sind sie wichtige Bioindikatoren für die biologische Vielfalt und können wertvolle Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Klimawandels, des Lebensraumverlustes und der Zerschneidung der Landschaft auf die Natur liefern. Kurz gesagt: Flattert eine Vielzahl verschiedener Schmetterlingsarten über eine Wiese, kann man im Rückschluss davon ausgehen, dass der Bauer hier weder zu viel gedüngt noch Pestizide ausgebracht hat. Geht ihre Zahl dagegen zurück, so sind sofort auch andere Arten betroffen – etwa die heimischen Singvögel.

Denn selbst dann, wenn sich die Tiere – wie etwa Buch- und Grünfinken, Kernbeißer, Zeisige, Stieglitze, Meisen oder Sperlinge – im erwachsenen Stadium ausschließlich von Samen und Körnern ernähren, um ihre Küken groß zu ziehen, brauchen sie alle eine eiweißreiche Kost. Und da sind die verschiedenen Schmetterlingsraupen ein nahezu unverzichtbarer Bestandteil.

Auf dem Land konstatieren Wissenschaftler seit Jahren einen krassen Artenschwund. „Die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft hat seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts dazu geführt, dass extensiv genutzte Flächen und die damit verbundene Artenvielfalt einem drastischen Rückgang unterworfen sind“, stellt das Bundesamt für Naturschutz im Monitoring-Bericht 2019 zum Zustand der deutschen Landwirtschaftsflächen fest.

Im Vergleich dazu, sind Städte und Dörfer Rückzugsorte, in denen viele Arten und damit auch Schmetterlinge überleben konnten. Gezielt angelegte Wildblumenfelder gehören in vielen Städten mittlerweile zum Standard des Naturschutzes. Schlehen, Vogelbeeren, Haselnuss- oder hochstämmige Obstbäume dienen den Raupen verschiedener Arten als Futterpflanzen. Und nicht nur ihnen. Weil Gartenanlagen, Schreber- und Vorgärten, Stadtparks und Parkstreifen per se kleinteilig und vielfältig strukturiert sind, zwitschert, flattert und brummt es in den Städten mehr als in der Agrarlandschaft. Wenn Bürger, Kommunalverwaltungen und städtische Betriebe jetzt noch auf eine vielfältige und insektenfreundliche Bepflanzung achten, ist ein erster Schritt zu mehr Vielfalt getan. Hamburg macht gerade vor, wie das geht.

Dieser Artikel erschien in etwas abgewandelter Form im Oktober 2020 in der Zeitschrift „natur“.

Horst Hamm –
schreibt seit 30 Jahren über Umweltthemen und war bei der Zeitschrift natur 18 Jahre Redakteur und stellv. Chefredakteur. Heute gehört er zu den Initiatoren und Machern des MehrWERT-Magazins.