Carlo Schmid, 24, Maschinenbauabsolvent an der TU Berlin, und Sebastian Marten, 32, Wirtschaftsingenieur mit einem Vorleben bei Mercedes, bauen Elektromotoren in alte Simson-Mopeds ein. Die erste Kleinserie von 30 Bausätzen zum Stückpreis von 2.690 Euro ging weg wie warme Semmeln und für 2023 sind bereits über 100 Vorbestellungen eingegangen. Im Ostberliner Schrauberparadies des Craftwerk in Lichtenberg stellten sie im Rahmen des Festivals „Reload Land“ für elektrogetriebene Motorräder ihre Retromaschinen vor, die sie, wie es sich für junge Gründer gehört, in der elterlichen Garage umgebaut haben.
Herr Schmid, Herr Marten, Sie haben hier an Ihrem Stand eine Simson S51 und eine Simson Schwalbe mit Elektromotor – inmitten von lauter neuen chic designten Elektrorollern und Elektromotorrädern. Wie fühlt sich das an?
Carlo Schmid: Gut. Natürlich fallen wir hier als Kontrast auf. Aber das zeigt ja genau, worum es uns geht: Die Verkehrswende muss nicht unbedingt heißen, dass wir lauter neue Produkte brauchen.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, die Simson Schwalbe zu elektrifizieren? Wie sehr sind Sie mit der Marke verbunden?
Schmid: Ich hatte als 17-Jähriger eine Schwalbe, die aber ziemlich unzuverlässig war. Man wusste nicht so richtig, ob man damit auch am Ziel ankommt. Aber ich fand sie cool, weil sie eben so schön retro aussah. So ist schließlich der Traum entstanden, die Mopeds auf Elektromotoren umzurüsten. Dann kam eins zum anderen. Ich habe Maschinenbau studiert und an der TU Berlin das Projekt Second Hand Mobility gestartet. Jetzt stecken wir mit Sebastian in der Ausgründung von Second Ride als Firma.
„Wir haben 50 Prozent Reduktion der CO2-Emissionen über die Lebensdauer von einem umgerüsteten Fahrzeug im Vergleich zu einem neuen E-Fahrzeug.“
Sebastian Marten: Auch mein erstes Fahrzeug war eine Simson, auch mit 17. Wegen einer speziellen Regelung im Einigungsvertrag ist die Simson das einzige Moped, mit dem man 60 Stundenkilometer fahren darf. Alle anderen sind nur für 45 Stundenkilometer zugelassen. Die Simson sieht auch schön aus und hat eine Motorradgangschaltung. Ich bin aber auch öfter mit ihr liegen geblieben und habe sie am Ende entnervt verkauft. Später habe ich dann in der Automobilbranche gearbeitet, wollte aber jetzt raus aus meinem festen Job und noch einmal ein neues Abenteuer wagen.
Bei welchem Unternehmen waren Sie?
Marten: Bei Mercedes.
Die bauen aber keine Zweiräder.
Marten: Nein, aber Elektroautos. Und das Problem ist ja bei allen Elektrofahrzeugen dasselbe: Ihre Produktion ist eigentlich immer klimaschädlicher als die Produktion von Verbrennerautos.
Schmid: Bei der Produktion eines Elektrofahrzeugs fallen ungefähr doppelt so viele Emissionen an. Das liegt am Akku. Den müssen wir zwar auch neu produzieren, aber die ganzen Emissionen für Rahmen, Sitze, Reifen und so weiter fallen dafür weg. Und das macht einen Riesenunterschied, wenn man das in großer Stückzahl schaffen würde.
Sie bieten einen Bausatz zum Selbsteinbau an. Wie viel Zeit sollte jemand, der seine Simson umrüsten will, einkalkulieren?
Marten: Viele, die eine Simson haben, haben ja schon etwas Erfahrung als Schrauber. Da geht das sicherlich in ein, zwei Stunden. Aber auch wer wirklich gar keine Ahnung hat, kriegt das an einem Nachmittag hin. Man muss ja nur alte Teile ab- und neue anschrauben. Da wird nichts am Rahmen gebohrt oder geflext.
Der Akku hält wie lange?
Schmid: Er ist für 50 Kilometer ausgelegt und kann in wenigen Stunden wieder voll aufgeladen werden. Das geht an jeder Steckdose. Das Besondere ist, dass sich der Akku ganz einfach abnehmen lässt. Man kann ihn also auch in seiner Wohnung aufladen und braucht keine Steckdose in unmittelbarer Nähe vom Fahrzeug.
Sebastian Marten und Carlo Schmid mit ihren umgerüsteten Simsons. Foto: Tom Mostroph
Wie viele Simsons gibt es überhaupt, die potenziell umzurüsten wären?
Marten: Insgesamt wurden sechs Millionen produziert. Etwa 500.000 sind noch zugelassen. Und es werden sogar mehr.
Wie das? Sie werden doch schon lange nicht mehr produziert.
Marten: Es gibt immer wieder Gartenfunde, die aufgearbeitet werden. Die Fahrzeuge sind einfach beliebt. Deshalb ist es tatsächlich ein Wachstumsmarkt.
Vermutlich fahren die meisten Simsons noch immer in Ostdeutschland herum, korrekt?
Marten: Wir sind auch von einem ganz starken Ost-West-Gefälle ausgegangen. Aber dann waren wir überrascht, dass das gar nicht so war, weder bei den Kunden, die bisher bei uns gekauft oder reserviert haben, noch bei den Werkstätten, die Interesse angemeldet haben, Service- oder Partnerwerkstätten oder Vertriebspartner zu werden. Die Simsons haben sich längst über ganz Deutschland verteilt.
Herr Marten, Sie sind später dazu gekommen, Herr Schmid hat schon vorher an dem Motor gearbeitet. Was hat Sie überzeugt, den sicheren Job bei Mercedes aufzugeben und jetzt ein Zwei-Mann Unternehmen zu gründen?
Marten: Ich bin den Prototypen gefahren, und das hat einfach großen Spaß gemacht. Überzeugend ist auch das Gesamtkonzept mit der großen Vision, die Verkehrswende nachhaltiger zu gestalten. Es geht eben nicht um immer mehr, immer alles größer, dicker, schwerer – sondern eben darum zu gucken, wie man das Alte, das gut funktioniert, in ein neues Zeitalter heben kann.
Funktioniert das Alte nicht sogar so gut, dass es sinnvoll wäre, auch neue Simsons zu produzieren?
Marten: Ja, das wäre vielleicht spannend. Es gibt viele neue Konzepte für Mopeds mit Elektroantrieb für die Stadt. Was aber die klassische Simson so attraktiv macht, ist die 60-Stundenkilometer-Regel aus dem Einigungsvertrag, die weiter ihren Bestand hat. Übrigens hat uns Clauss Dietel, der Chefdesigner der Simson-Mopeds, in einer Mail aufgefordert, munter weiterzumachen. Was wir machten, sei genau das offene Prinzip, auf das sein Design ausgelegt gewesen sei. Das war natürlich ein Supersignal für uns und hat uns viel Energie gegeben. Leider ist Dietel im Januar gestorben.
„Die langfristige Vision ist, den Umbau von Verbrennern auf Elektro massentauglich zu machen. Wir glauben, dass das die nachhaltige Alternative zu Elektro-Neufahrzeugen ist.“
Welche Straßen haben Sie als Jugendliche unsicher gemacht?
Schmid: Ich bin mit meiner Simson vor allem zur Schule gefahren. Das hat richtig Spaß gemacht – wenn sie denn gefahren ist und nicht gerade der Vergaser gereinigt oder die Zündung neu eingestellt werden musste.
Wie viel Unterrichtsausfall hatten Sie wegen der Simson, weil die mal wieder bockte?
Schmid: Ich erinnere mich noch ganz genau an den ersten Tag, an dem ich mit der Schwalbe zur Schule fahren wollte und auf der Hälfte der Strecke liegen geblieben bin. Ich musste weiterschieben und ein Mitschüler hat mich gesehen, wie ich das Ding über die Fußgängerampel geschoben habe. Er hat ein Foto davon in den Jahrgangs-Chat gepostet. Das war mir so peinlich damals, weil ich angekündigt hatte, dass ich morgen mit meiner neuen Schwalbe käme.
Die Elektroschwalbe ist jetzt zuverlässiger?
Schmid: Ja, genau, da schaltet man an und fährt los. Keine Flüssigkeiten mehr, kein Getriebe. Das einzige bewegende Teil ist die Motorwelle selbst. Das ist schon ein Riesenvorteil der Elektromobilität.
Was machen Sie, wenn alle 500.000 Simsons umgerüstet sind?
Schmid: Die langfristige Vision des Unternehmens ist, den Umbau von Verbrenner auf Elektro massentauglich zu machen. Wir glauben, dass das die nachhaltige Alternative zu Elektroneufahrzeugen ist. Ich glaube, dass wir sehr lange mit Simsons beschäftigt sein könnten, einfach weil der Markt riesig ist. Aber wir wollen uns irgendwann auch anderen Fahrzeugklassen widmen. Den größten Effekt würden wir sicherlich bei Pkws erzielen.
Dieser Artikel erschien in leicht geänderter Fassung im August 2022 in der „nd“ (neues deutschland).
Tom Mustroph –
ist in Berlin und Palermo als freier Autor und freier Dramaturg tätig. Dabei interessiert ihn in erster Linie, wie selbstverantwortliches Arbeiten elegant und unter Einhaltung moralischer Mindeststandards in so unterschiedlichen Subsystemen wie Kunst, Sport und Wirtschaft gelingen kann. Er publiziert unter anderem für „taz“, „FAZ“, „Neues Deutschland“, „NZZ“, „Zeit online“, Deutschlandfunk und WDR.