Nicht, dass Rainer Hönig schon immer nur Gutes tun wollte. Der Impuls dazu reifte nach und nach. Ein Auslöser war die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, aber eben nur einer. Weitere kamen hinzu, bis den bayerischen Maschinenbauingenieur, der sich einst mit Wasserstoffantrieben für Überschall-Flugzeuge beschäftigte, fast nur noch eins umtrieb: Der Klimaschutz – und der Wille, die Chancen vieler Zukurzgekommener auf dem Planeten zu verbessern.
Da wäre zum Beispiel die Begegnung mit Muhammad Yunus gewesen, dem Friedensnobelpreisträger und Gründer der Grameen Bank, die mit Kleinstkrediten das Los vieler Armer in Bangladesch lindert. Yunus wollte von ihm wissen, warum es keine Elektrofahrzeuge gibt, die abends, per Kabel mit einer Behausung verbunden, für Strom und Licht sorgen. Eine Frage, die der deutsche Ingenieur nicht mehr vergessen sollte.
Da wäre aber auch eine Reise nach Grönland, die ihm vor Augen führte, was der Umgang mit fossiler Energie schon angerichtet hatte: Türkisblaue Seen aus Schmelzwasser auf dem vermeintlich ewigen Eis, schön anzusehen, aber ein untrügliches Zeichen menschengemachter Erderwärmung.
Schließlich wären da die langen Gespräche mit einer älteren Dame aus London gewesen. Die Trainerin half ihm nicht nur über berufliche Krisen hinweg, der Austausch mit ihr verschaffte ihm auch Klarheit darüber, was ihm wichtig ist – und was weniger wichtig. Zwar hatte Hönig keinen Grund, über ausbleibenden beruflichen Erfolg zu klagen. Er hatte sogar Auszeichnungen für außergewöhnliche Leistungen erhalten. Und dennoch spürte er, dass diese Ehrungen allzu vergänglich sein würden, „ohne Nachklang.“
Hönig wollte mehr – und dieses Verlangen nimmt seit zwei Jahren Gestalt an, beschäftigt neben Hönig rund ein Dutzend weitere Personen und hat einen Namen: Betteries. So heißt nicht nur das Start-up, das Hönig 2018 gründete, sondern auch das Produkt, um das sich alles dreht. Hönig und seine Mitstreiter wollen ausgediente Batterien von Elektroautos fit für einen zweiten Einsatz machen, für ein „second life“, wie es neudeutsch heißt. Das ist nicht nur billiger, als die Akkus nach ihrem Ersteinsatz schon zu recyceln, sondern auch besser – deshalb: Betteries. Der Prototyp ist bereits weit gediehen.
Tatsächlich können Stromspeicher, die für den Antrieb schwerer Pkw nicht mehr taugen, anderswo noch nützlich sein, etwa als Stromspeicher in mit Solaranlagen ausgestatteten Häusern – beispielsweise im Schwarzwald oder auf Usedom. Für Hönig wäre der Fokus auf die deutsche Provinz allerdings allzu konventionell, gilt es doch, ein wahrhaft globales Problem anzugehen.
Bis 2030 sollen 300 000 seiner Betteries Dienst tun, vor allem in Ländern mit wenig entwickelter Infrastruktur und ohne zuverlässiges Stromnetz. Dort sollen sie für doppelten Nutzen sorgen: Benzin- und Dieselaggregate ersetzen, die jedes Jahr für mindestens eine Million Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) sorgen – und den täglichen Kampf ums Überleben erleichtern.
So eine „Betterie“ ist etwas größer als ein Kasten Bier, wiegt 35 Kilogramm, ist schlagfest, wasserdicht, mit dem Internet verbunden und deshalb aus der Ferne zu überwachen. Mehrere davon können gestapelt und elektrisch miteinander verbunden werden. So entstehen Stromspeicher, die genau zum jeweiligen Einsatz passen – und der kann sowohl mobil als auch stationär sein.
Global denken, lokal recherchieren
Zum Beispiel am Viktoriasee, wo der Nilbarsch gefangen wird. An Afrikas größtem Binnengewässer, ungefähr so groß wie Bayern, ist die Natur arg geschunden, die Menschen sind überwiegend arm. Niemand, auch Hönig nicht, bildet sich ein, dass der für ein zweites Leben präparierte Akku eines E-Autos das Blatt entscheidend zum Besseren wenden kann. Und dennoch: Würden die Fischerboote in Zukunft elektrisch statt von Verbrennungsmotoren angetrieben, dann geriete jedenfalls von dort kein Tropfen Treibstoff mehr ins Seewasser. Obendrein könnten es Batterien den Kleinfischern erlauben, ihren Fang zu kühlen und anschließend ertragreicher zu vermarkten als bisher.
Würden. Könnten. Hönig will es genau wissen, reist nach Kenia, einem der Anrainerstaaten des Viktoriasees. Dort fährt er mit den Fischern raus auf den See, nachts, beim Schein ihrer Solarlaternen. Sie erzählen ihm, dass die Benzinmotoren ihrer Boote teuer und unzuverlässig sind; dass sie stinken und das Wasser verschmutzen brauchen sie ihm nicht zu erzählen. Als Hönig wieder zu Hause ist weiß er, dass es tatsächlich eine gute Idee wäre, die Boote zu elektrifizieren. 50 000 davon gibt es auf dem Viktoriasee. Selbst Netzstrom für seine Betteries ließe die Fischer sauberer unterwegs sein als mit ihren herkömmlichen Außenbordmotoren; in Kenia stammt der Strom bereits überwiegend aus regenerativen Quellen.
Auch andernorts in Afrika oder Asien würden Kilowattstunden aus Betteries das Leben erträglicher und die Geschäfte einträglicher machen. Handwerker zum Beispiel könnten geordneter arbeiten, wären sie nicht länger abhängig von ständig unterbrochenen Stromlieferungen. Der Arbeitsweg von Fabrikarbeiterinnen wäre sicherer, könnten sie mit elektrischen Mopeds oder Dreirädern unterwegs sein. Wo der Netzstrom fehlt oder noch schmutzig ist kann für den Elektronen-Nachschub – und für den Klimaschutz – die immer billiger werdende Solarkraft sorgen.
„Mobility for Africa“ ist ein Startup aus Zimbabwe, das seit einiger Zeit mit einem dreirädrigen Elektrogefährt von sich reden macht. Hamba heißt das rote, mit großer Ladefläche ausgestattete Fahrzeug. Hambas werden für wenig Geld an Gruppen von bis zu fünf Frauen verliehen. So können sie ihre Feldfrüchte problemlos zum nächsten Markt schaffen, Mitfahrgelegenheiten anbieten und ihre Besorgungen in einem Bruchteil der früher benötigten Zeit erledigen. Shantha Bloemen ist die Direktorin des Startups, Hönig hat sie besucht und die beiden haben eine geschäftliche Partnerschaft vereinbart: Hambas sollen in Zukunft mit Betteries ausgerüstet werden.
Ein Start-up der Gattung „Zebra“
Ortswechsel, Berlin Lichterfelde. Das Goerzwerk ist ein historischer Gewerbehof, in dem einst die erste Schlitzverschluss-Kamera der Welt produziert wurde. Heute ist es eine Geschäftsadresse für Unternehmer mit Pioniergeist. Im Treppenhaus 1, Raum 3731 hat Hönig seine kleine Mannschaft einquartiert. International ist sie. Eine US-Amerikanerin ist dabei, ein Mexikaner und Iroel Torres, ein Kubaner mit Starkstrom-Lizenz: „Der Einzige, der an den Batterien wirklich rumschraubt“, sagt Hönig.
Um zu verstehen, was da in Hönigs Labor entsteht – und warum – muss man wissen, dass Betteries zu den Startups der Gattung Zebra zählt. Zebras heißen in der Startup-Szene solche Gründungen, die nicht auf das schnelle Geld aus sind, wie Einhörner, die eben nur das Eine wollen, den schnellen Profit. Zwar verschmähen auch Zebras nicht den Gewinn, wollen aber nicht zum Getriebenen des Gewinnstrebens werden. Es geht ihnen auch um gesellschaftlichen Mehrwert. Im Fall von Betteries hieße der: Armutsbekämpfung, Klimaschutz, Ressourcenschonung. Vor diesem Hintergrund versteht sich von selbst, dass Hönig auch ein Konzept für das Recycling der Batterien nach dem Ende ihres produktiven Zweitlebens hat.
E-Autos als Rohstoffquelle nutzen
Der Rohstoff, aus dem alles entsteht, sind ausgediente Lithium-Ionen-Batterien aus E-Autos. Hönig bekommt sie von Renault. Der Stromspeicher, der früher zum Beispiel in einem ZOE Dienst getan hat, besteht aus 48 Modulen; sie werden auseinandergeschraubt, getestet und wieder neu zusammengefügt. Auf diese Weise werden aus einer ZOE-Batterie sechs Betteries, bestehend aus jeweils acht Modulen.
Mit bloßen Augen ist schwer zu erkennen, was genau in Hönigs Laboratorium entwickelt wird. Und doch wird hier ein Manko beseitigt, das jeder gebrauchten Lithium-Ionen-Batterie eigen ist. Tatsächlich ist nämlich jede ihre Zellen unterschiedlich schnell gealtert; das ist ein Problem, weil im Zellverband die schwächste Zelle für die immer weiter sinkende Kapazität verantwortlich ist. Elektronik, die in Bruchteilen von Sekunden die Zellen intelligent miteinander verschaltet, lässt diesen Nachteil verschwinden. Der Vorgang nennt sich „active cell balancing“, das dafür zuständige Bauteil haben Hönigs Leute gemeinsam mit einem australischen Partner weiterentwickelt.
Vom Überflieger zum Aussteiger
Active balancing, Hambas und die Nöte der Fischer vom Victoriasee – wie kommt ein 57jähriger Maschinenbauer dazu, dies zum Mittelpunkt seines täglichen Tuns werden zu lassen?
Alles beginnt im „Vierzylinder“, der Zentrale der Bayerischen Motoren Werke in München. Während Hönig sich an der Uni mit Flugzeugantrieben beschäftigt ist BMW gerade dabei, mit Rolls-Royce ein Joint Venture zu gründen, um ins Flugzeuggeschäft einzusteigen. Hönig und die BMW-Leute kommen zusammen, bald darauf wird der junge Ingenieur beauftragt, in Dahlewitz vor den Toren Berlins ein Werk für Flugzeugtriebwerke hochzuziehen: Hönigs erstes Start-up.
Später steigt BMW aus dem Joint Venture mit Rolls-Royce aus, Hönig bleibt dem britischen Konzern erhalten. Seine Karriere führt ihn nach Derby in Mittelengland und nach Friedrichhafen zu MTU, einer Rolls-Royce Marke, Hersteller von Großdieselmotoren. Zeitweise ist Hönig dafür verantwortlich, weltweit 12.000 Ingenieure zum kostengünstigen Konstruieren anzuhalten, er reist viel umher, verkauft Notstromaggregate in den Irak und in Bangladesch, lernt dabei Leute wie Yunus kennen. Seine Tätigkeit ist interessant, doch es wird ihm zunehmend bewusst, dass er sich ausschließlich mit fossiler, mit schmutziger Energie beschäftigt. Irgendwann wird ihm klar, dass er beruflich eigentlich „auf der falschen Seite“ ist – und dieses Gespür bleibt auch anderen im Konzern nicht verborgen. Manchen gilt er als „grüner Spinner“. Man entfremdet, es kommt schließlich zur Trennung. Das war 2016.
Plötzlich hat Hönig Zeit. Finanziell unabhängig ist er auch, schließlich hat er zuvor sehr gut verdient. Dem guten und bewussten Konsum nicht abgeneigt, hätte er sein Leben fortan genießen, sich obendrein als Spender und Wohltäter betätigen können. Hätte. Denn erstens steckt in Hönig viel zu viel Unternehmungsgeist und zweitens ist ihm klar, dass die Investition in ein Sozialunternehmen mehr Wirkung entfaltet als eine milde Gabe.
So nehmen die Dinge ihren Lauf: Hönig weiß, was Energiearmut ist, er kennt das Klimaproblem, er beobachtet den Trend zur Elektromobilität und er fragt sich, ob die ausgedienten Akkus wirklich sofort Wohlstandsmüll werden müssen. Von dieser Erkenntnis ist es nicht mehr weit zu der Idee, den Dingern ein zweites Leben mit gesellschaftlichem Mehrwert zu verschaffen. Allein kann er das nicht, aber Hönig gelingt es, eine Handvoll gleich gesinnter Investoren zu gewinnen, darunter sogar einen ehemaligen Kollegen bei Rolls-Royce und ein paar andere Geschäftsleute.
Ein Geschäft soll es nämlich schon werden. Es muss sogar wachsen, weil nur Massenproduktion die Kosten dermaßen drückt, dass sich der Erwerb oder die Miete der Betteries für die wenig kaufkräftige Kundschaft rentiert. Anfallende Gewinne sollen allerdings reinvestiert werden – mit dem Ziel, in möglichst vielen Regionen der Erde möglichst viele Verbrennungsmotoren arbeitslos zu machen.
Für den Sommer kommenden Jahres ist die Produktzulassung geplant, anschließend wird die erste Fertigungsstätte errichtet, zunächst irgendwo in Europa. Bald darauf sollen Regionalzentren gegründet werden, das erste vermutlich in Ostafrika. So entstehen nicht nur „Betteries made in Africa“, sondern auch afrikanische Arbeitsplätze. Insgesamt fünf solcher Zentren soll es bis 2030 geben.
Bastelt Hönig da etwa an einem weltumspannenden Konzern? Ja, er will, dass seine Geschäftsidee „fliegt“, dass etwas Sinnvolles entsteht. Und nein, er glaubt nicht, dass Betteries jemals ein Global Player wird. Er würde sich sogar freuen, wenn ihm irgendwann jemand die Idee klaut, um etwas ganz Großes daraus zu machen. Es sollte nur nicht gleich morgen sein.
Der Artikel erschien in etwas gekürzter Form Ende 2020 im „EWS-Energiewende-Magazin“.
Inzwischen wurde die Kooperation zwischen Betteries und Renault vertieft. Der französische Autobauer widmete sein einst größtes Montagewerk in Flins bei Paris um und eröffnete Anfang März 2021 die Station Flins, ein Recyclingzentrum. Dabei handelt es sich um eine Art Inkubator, also um einen Ort, an dem Renault mit externen Partnern (vor allem Start-ups) zusammenarbeitet, um im Bereich der Kreislaufwirtschaft Innovationen voranzutreiben. Betteries ist offizielles Mitglied dieses Renault Inkubators.
Dr. Fritz Vorholz –
studierte in Köln Volkswirtschaft und Soziologie. Nach dem Studium arbeitete er für den Sachverständigenrat für Umweltfragen und von 1988 bis 2015 als Redakteur für die „Zeit“. Von 2016 bis Anfang 2020 leitete er die Strategische Kommunikation von Agora Verkehrswende. Seit Frühjahr 2020 arbeitet er wieder als Journalist, freiberuflich.
Silke Reents –
fotografiert, dreht Videos und arbeitet als Fotoredakteurin schwerpunktmäßig zu den Themen Energiewende und Klimaschutz. Angefangen hat sie als Pressefotografin. Tätig ist und war sie für dpa, dapd, Fotoagentur Visum, Magazin neue energie, EWS Energiewendemagazin und verschiedenste Auftraggeber im Energiebereich. Mehr unter silkereents.de