Herr Hofer, warum werden in Deutschland noch immer so wahnsinnig viele wahnsinnig hässliche Häuser gebaut?
Es gibt schon auch ein paar spektakuläre und gute Projekte. Zum Beispiel in Berlin ist in den letzten Jahren viel passiert. Was da am ehemaligen Blumengroßmarkt entsteht, gefällt mir sehr gut. Und das Werksviertel in München hat immerhin den Deutschen Architekturpreis bekommen.
Das sind ein paar Vorzeigeprojekte. Aber denken Sie oft, wenn Sie an einer Baustelle vorbeikommen: Oh, was wird das für ein schönes Haus?
Ich muss ehrlich sagen: Hier passiert mir das selten. Ich komme ja aus Zürich, da ist es anders. Die Stadt hat sich auch in der Breite baukulturell neu erfunden. Das ist schon eindrücklich. In Deutschland haben wir halt das Problem, dass der Immobilienmarkt mit der Abschaffung der Gemeinnützigkeit vor dreißig Jahren den Spekulanten zum Fraß vorgeworfen wurde. Für die sind Immobilien eine Zahl in einer Excel-Tabelle. Wie die aussehen, spielt überhaupt keine Rolle. Die Anleger müssen ja nicht darin wohnen. Die Nachfrage ist so groß, da kannst du bauen, was du willst, du kriegst es trotzdem vermietet.
Die Pandemie hat uns sehr stark auf die eigenen vier Wände zurückgeworfen. Welche Erkenntnisse hat uns das über die Art gebracht, wie wir wohnen?
Keine neuen. Aber viele unserer Thesen haben sich bestätigt. Zum Beispiel, dass das Wohnumfeld und der Außenraum enorm wichtig sind. Und die soziale Ungerechtigkeit hat sich manifestiert. Homeoffice im großzügigen Haus mit Fitnessraum macht mehr Spaß als mit drei kleinen Kindern in der Zweizimmerwohnung ohne Balkon.
Stichwort Homeoffice: Wird die Trennung von Wohnen und Arbeiten dadurch weiter aufgeweicht? In anderen Bereichen ist das ja schon passiert – etwa durch das Smartphone und die ständige Erreichbarkeit.
Vermutlich ist das so. Ich finde aber schon, dass wir diese Entwicklungen diskutieren und gestalten sollten. Homeoffice ist in meinen Augen nur für eine Minderheit eine Perspektive. Was ich viel interessanter finde, das sind diese Quartier-Coworking-Spaces. Ich denke, denen wird eine zunehmende Bedeutung zukommen. Wir werden ja in den nächsten Jahren in den Städten wohl auch immer mehr leerstehende Erdgeschosse zur Verfügung haben, weil ein Großteil des Einzelhandels verschwindet. Eingekauft wird digital.
Auch Bürofläche wird dank Homeoffice künftig weniger benötigt. Könnte das die Wohnsituation etwas entschärfen?
Das ist leider nicht so einfach. Dienstleistungsflächen lassen sich viel teurer vermieten. Deshalb werden Vermieter ein Haus lieber ein paar Jahre leerstehen lassen – in der Hoffnung, doch wieder einen gewerblichen Mieter zu finden.
Sie selbst haben ein genossenschaftliches Wohnprojekt in Zürich mit entwickelt, das Hunziker-Areal. Seit fünf Jahren leben dort jetzt 1300 Menschen. Wie haben Sie versucht, dort ihre Vision vom Wohnen der Zukunft zu verwirklichen?
In dem Fall war es tatsächlich ein ehemaliges Gewerbegebiet. Ein eigentlich sehr schwieriger Standort, an dem es uns gelungen ist, ein attraktives Quartier zu bauen. Dort haben wir exemplarisch durchgespielt, wie wir uns die Zukunft vorstellen. Sehr wichtig war uns beispielsweise das Thema Diversität. Das fing schon bei der Ausschreibung an. Wir wollten nicht nur mit einem einzelnen Architekturbüro zusammenarbeiten. Schlussendlich waren es fünf, die dort Häuser gebaut haben. Dann haben wir mit vielen Institutionen in Sachen Inklusion zusammengearbeitet. Dort sind jetzt betreute Wohngemeinschaften mit Waisenkindern und Jugendlichen aus schwierigen familiären Umständen, es gibt Wohnungen für Menschen mit Behinderungen und für Flüchtlinge, dazwischen auch studentisches Wohnen. Aber alles ist integriert. Es gibt nicht das Haus mit den Flüchtlingen, das Haus mit den Reichen und das Haus mit den Alleinstehenden.
Und wem gehört das Quartier?
Überwiegend den Menschen, die dort leben. Wir haben das als Genossenschaft aufgezogen. Natürlich gibt es dort auch Gemeinschaftsräume und Coworking Spaces. Dazu eine kleine Pension: Dort können die Bewohner für wenig Geld ihre Gäste unterbringen, die freien Zimmer werden als normale Hotelzimmer vermietet. Wir haben hier auch das sogenannte Cluster-Wohnen, wo mehrere sehr kleine Wohnungen zusammengeschlossen sind und sich größere Gemeinschaftsräume teilen, nach früheren Experimenten, zum ersten Mal im großen Stil gebaut.
Machen solche Bauprojekte Schule oder ist das etwas für die Nische?
Und wie das Schule macht! Häuser zu bauen ist mühsam. Wenn sie aber einmal stehen, haben sie eine unglaubliche Strahlkraft. Zu uns sind Tausende gekommen, um sich das Quartier anzusehen und sich inspirieren zu lassen. Heute gibt es keinen Wettbewerb in Europa mehr, wo nicht auch eine Form des Cluster-Wohnens gefordert wird.
Gehört die Zukunft überhaupt noch der Stadt? Dort gibt es doch schlicht keinen Platz mehr.
Das ist ein Irrtum. Fahren Sie mal mit der S-Bahn durch Stuttgart! Sie sehen eigentlich nur leere Grundstücke. Da sind riesige Parkplätze, ungenutzte Gewerbeareale, leerstehende Bürogebäude. Und noch nie wurde so viel gebaut wie im Moment.
Die Menschen wollen aber auch mehr Platz. Die durchschnittliche Quadratmeterzahl Wohnfläche pro Kopf ist seit den Fünfzigern von 11 auf 47 gestiegen – ein fataler Trend?
Das sind eigentlich zwei parallele Trends. Zum einen ist da natürlich der Wohlstand. Wir können uns heute mehr Platz leisten. Dann hat sich aber auch die Haushaltsstruktur verändert. Wo früher eine ganze Familie eine Wohnung bewohnt hat, leben dann später, wenn die Kinder ausgezogen sind, nur noch zwei Menschen, irgendwann vielleicht nur noch einer. Die bleiben aber in derselben Wohnung, die wegen der alten Miete noch erschwinglich ist. In eine kleinere Wohnung umzuziehen, können sie sich gar nicht leisten. Der durchschnittliche Wohnflächenkonsum eines Einpersonenhaushalts in Deutschland liegt bei 80 Quadratmetern, ist also fast doppelt so hoch wie der Gesamtdurchschnitt.
Sie haben mal gesagt: „Das Thema Dichte ist vor allem eine Frage der Qualität.“ Woran machen Sie die fest?
Dichte ist ja ein eher negativ belegter Begriff, der suggeriert: Ich muss auf Platz verzichten. Würden wir von Nähe sprechen, wäre das viel positiver. Das lieben wir ja etwa an den italienischen Innenstädten so, da stört uns nicht, dass die Gasse nur drei Meter breit ist. Wenn die Häuser schön sind, wenn die sozialen Systeme funktionieren, wenn ich in einer funktionierenden Community unterwegs bin, dann darf’s gern etwas eng sein. Das meine ich mit Qualität.
Die sogenannten Tiny Houses sind auch sehr eng …
Aber das ist wirklich etwas für die Nische. Die bieten wenig Wohnfläche, fressen aber häufig viel Landfläche. Zusammenschieben und stapeln will die ja auch keiner. Das ist bestimmt keine Lösung für unsere Wohnungsprobleme.
Als man nach dem Krieg im großen Stil zu bauen angefangen hat, hat man sich wenig Gedanken über Nachhaltigkeit gemacht. Jetzt stecken wir mitten in der Klimakrise. Was bedeutet das für die Art, wie wir künftig bauen und wohnen?
Natürlich können wir so wie bisher nicht weitermachen. Wir brauchen Städte, die ohne fossile Energie auskommen und das Klima nicht weiter anheizen.
Wo sind die wichtigsten Stellschrauben in Sachen Nachhaltigkeit?
Zum einen geht es natürlich um die Art der Energieerzeugung. Um es auf eine Formel zu bringen: Man sollte künftig kein Feuer mehr in Häusern entfachen. Technische Möglichkeiten gibt es ja viele: Fernwärmenetze, Erdsonden, Geothermie, Gewässerwärmepumpen, Niedertemperaturheizkörper et cetera. Das gibt es, und das kommt jetzt auch in der Breite. Dann wäre es natürlich auch gut, wenn die Energie im Haus bliebe. Dazu braucht es eine gewisse thermische Optimierung. Ob das dann wirklich das Passivhaus mit so dicken Wänden sein muss, lass’ ich mal dahingestellt. Ein ganz großes Thema ist aber auch die graue Energie. Wenn du das Haus gebaut hast, hast du schon die Hälfte der gesamten Energie der Lebensdauer verbraucht – für das Baumaterial, die Herstellung, den Transport, die Baustelle.
Auch Beton ist natürlich ein Riesenproblem. Die Zementproduktion macht 6 bis 7 Prozent der CO2-Emissionen weltweit aus, die Bauindustrie im gesamten ist in Deutschland für 28 Prozent verantwortlich. Holzbau kann da natürlich sehr helfen. Auch neue Technologien etwa bei der Zementherstellung können den CO2-Ausstoß verringern. Ähnlich bei der Stahlindustrie. Und auf die Lebensdauer kommt es an. Wenn der Stahlträger einmal hergestellt wird und du ihn die nächsten 300 Jahre irgendwie immer wieder neu verwenden kannst, fällt die Herstellungsenergie weniger ins Gewicht. Wir reißen aber aktuell 40 Jahre alte Häuser ab. Das muss man sich mal vorstellen.
Welche Rolle wird das Smarthome künftig spielen? Ist das mehr als eine Spielerei?
Es ist natürlich schön, wenn die Häuser klug sind. Aber was jetzt darunter verstanden wird, so eine unterhaltungsindustriegetriebene Elektrifizierung, ist schlicht unnötig.
Sie meinen den Kühlschrank, der selber einkauft?
Genau. Denen fällt ja auch nichts Besseres ein. Seit 20 Jahren reden sie vom Kühlschrank, der merkt, wenn die Milch alle ist. Das ist doch ein völliger Blödsinn. Das Problem bei vielen dieser technischen Spielereien ist aber auch: Wir haben es mit völlig unterschiedlichen Lebenszyklen zu tun. Ein Haus sollte 100 Jahre stehen, besser noch 200 oder 300. Und wir stopfen das jetzt voll mit einer Technik mit einer Lebensdauer von wenigen Jahren. Ich kenne Bürogebäude, wo sie die ganzen Lüftungsanlagen rausgerissen haben, weil es die Softwarefirma, die die Steuerung vor zehn Jahren gemacht hat, mittlerweile nicht mehr gibt. Da ist unglaublich viel Hype dahinter und ganz wenig Intelligenz.
Deutschland ist zwar ein Land der Häuslebauer, aber doch vor allem auch der Mieter und Vermieter. Ist dieses Modell „Den einen gehört der Wohnraum, die anderen wohnen darin“ zukunftsfähig?
Ja. Das Problem am Eigenheim ist, dass die Hauseigentümer am härtesten von den Immobiliencrashs betroffen sind. Das hat man beim letzten Crash 2008 in Ländern mit hohen Eigentumsquoten wie Irland, den USA und Spanien gesehen: Dort sind dann die höchsten Arbeitslosenquoten, weil die Menschen sich in ihrem Eigentum einfach festgekettet haben. Auf der anderen Seite hat natürlich auch der Mietmarkt seine Probleme. Das Mietrecht schützt ja beispielsweise die, die was haben. Da wohnen Menschen in großen günstigen Wohnung, weil sie schon lange drin wohnen, und die, die von außen ins System kommen, haben dann das Nachsehen. Ich finde ja Genossenschaften mit am überzeugendsten; die verbinden die beiden Modelle.
Und sie sind nicht auf Rendite ausgerichtet.
Genau. Denn natürlich sind auch die Investmentfonds, die hier zum Teil Hunderttausende von Wohnungen gekauft haben, ein Teil des Problems. Da müsste man den Kapitalmarkt wohl schon zu ein paar Anständigkeiten zwingen.
Was wären das für Anständigkeiten?
Es gibt zum Beispiel im schweizerischen Mietrecht einen sogenannten übersetzten Ertrag. Du darfst mit Wohnimmobilien nur eine Kapitalrendite machen, die maximal 2 Prozent über der Finanzmarktrendite liegt. Punkt. Dadurch kannst du in der Schweiz keine Miete erhöhen, wenn du nicht etwas investierst oder wenn sich die Kapitalmarktzinsen ändern. Somit können Mieter sogar schon die Anfangsmiete anfechten. Das heißt jetzt natürlich nicht, dass die Mieten in der Schweiz extrem günstig sind.
Aber selbst dann würde in einer Stadt wie München bei Neubauten die Miete immer noch durch die immens hohen Grundstückspreise in die Höhe getrieben.
Das stimmt, das ist das Problem. Deshalb bräuchte man am besten eine Trennung von Boden und Gebäude, sprich: Erbpacht. Die Stadt Zürich darf seit 50 Jahren kein Grundstück verkaufen. Sie darf es nur in Erbpacht an Genossenschaften vergeben oder selber bebauen. In Deutschland hat man dagegen in den Neunzigern das ganze Tafelsilber verhökert. Das kriegt man fast nicht zurückgedreht.
Dieses Interview ist zunächst im September 2021 im Magazin „Mehrwert“ erschienen.
Dominik Baur –
ist Bayern-Korrespondent der „taz“, schreibt aber als freier Journalist auch gern über Themen aus Umwelt und Gesellschaft. Mehr auf gschichten.de.