10 km lange Seilbahnverbindung von einem der größten Verkehrsknotenpunkte von Mexico City ins Stadtviertel Cuautepec. Foto: Doppelmayr Seilbahnen GmbH

24. Oktober 2023
Lesedauer 3 Minuten

bachrauf-Serie: Verkehrswende
Teil 4

Über die Serie
Der Transport von Menschen und Gütern erleichtert das Leben, ist aber vielerorts längst noch keine Selbstverständlichkeit. In ländlichen Regionen kommt man oft kaum weg vom Fleck – nicht nur, aber vor allem im globalen Süden. In den weltweit schnell wachsenden Städten dagegen breitet sich der Autoverkehr noch immer weiter aus. Gleichzeitig bedroht das Auto den menschlichen Lebensraum – weil es Abgase und Lärm verursacht, zur Erderwärmung beiträgt und öffentlichen Raum beansprucht.

Wie können wir ihn den Menschen zurückgeben? Wie lässt sich der Lieferverkehr neu organisieren? Was bringt eine Automatisierung des Verkehrs? Und welche Rolle spielen dabei Schiene, Rufbusse und Fahrräder?

In dieser Artikelreihe beschäftigt sich Fritz Vorholz mit sechs Vorschlägen für eine nachhaltige Verkehrswende.

In Deutschland ist das Bahnnetz seit 1950 um rund 15.000 Kilometer geschrumpft. Doch seit einigen Jahren findet eine Trendumkehr statt, werden stillgelegte Strecken reaktiviert, immerhin 919 Kilometer seit 1994, meist im ländlichen Raum. Der Trend zur Wiedereröffnung stillgelegter Eisenbahnlinien findet auch anderswo statt. Um abgehängten Dörfern „wieder Leben einzuhauchen“, will zum Beispiel die britische Regierung Strecken wiedereröffnen. Und selbst in den USA, wo bis Mitte der neunziger Jahre rund 725 Dörfer und Städtchen ihre Bahnstationen dichtgemacht hatten, haben die ersten inzwischen wieder Anschluss gefunden.

Welche Effekte Schienenreaktivierungen haben, hat das deutsche Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung untersuchen lassen. Zwar stellen sich nicht alle erhofften Effekte ein, so bilanziert eine Studie, viele aber schon: Ländliche Regionen werden für Bürger und Unternehmen attraktiver. Der Wohnungsmarkt in Ballungsgebieten wird entlastet. Transport kommt mit weniger Fläche aus, die beispielsweise für Parks genutzt werden kann. Freizeitregionen werden umweltverträglich erschlossen, vor allem für den Fahrradtourismus. Schließlich geschehen weniger Unfälle, und Pkw-Besitzer sparen Betriebskosten.

Effekte von Schienenreaktivierungen: Ländliche Regionen werden für Bürger und Unternehmen attraktiver, der Wohnungsmarkt in Ballungsgebieten wird entlastet und Transport kommt mit weniger Fläche aus, die beispielsweise für Parks genutzt werden kann

Beispiel London: Von der neuen Ost-West-Bahnverbindung, die im Großraum der britischen Hauptstadt per U-Bahn Vororte mit dem Zentrum verbindet, erhofft sich die Verkehrsbehörde Transport for London nicht nur eine Belebung des Umlands (unter anderem sollen dort im Windschatten des Projekts 90.000 Wohnungen entstehen), sondern auch milliardenschwere Impulse für die Wirtschaft im gesamten Königreich. Mittlerweile ist auch eine Nord-Süd-Verbindung in Planung. Diese soll ebenfalls zu einem Job-Motor werden.

Ohnehin ist London die Stadt, von der aus die U-Bahn, oder „Tube“, wie man sie hier nennt, ihren Siegeszug angetreten hat. 1863 war es, als die Metropole als erste Stadt der Welt Teile ihres Verkehrs unter der Erde verschwinden ließ. Ein Welterfolg. Aber auch teuer – bis zu 300 Millionen Euro kostet ein U-Bahn-Kilometer.

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Beispiel Kopenhagen: Die Wagen der S-Bahn sind extra breit, sodass Fahrräder quer zur Fahrtrichtung abgestellt werden können und immer noch Platz für Kinderwagen ist. Die Sitzbänke sind so breit, dass dort drei Personen nebeneinander sitzen können, also sechs über die ganze Wagenbreite. Foto: Arne List, CC BY-SA 2.0, flickr.com

Deshalb und weil vielerorts der Untergrund ohnehin keine „Unterkellerung“ zulässt, erlebt ein anderer Klassiker auf Schienen eine Renaissance: die Straßenbahn, das älteste öffentliche Verkehrsmittel, das bereits seit mehr als 140 Jahren sogar elektrisch unterwegs ist. Von Addis Abeba bis Wuhan erlebt die Tram derzeit ihren zweiten Frühling.

Vorreiter der Renaissance war Frankreich, wo in mehr als 20 Städten komplett neue Straßenbahnsysteme aufgebaut wurden. Die Wiederentdeckung der Tram kommt nicht von ungefähr: Straßenbahnen sind stadtverträglich und effizient. Sie haben eine hohe Transportkapazität, und sind deutlich billiger als beispielsweise U-Bahnen.

Anders als diese konkurrieren die Trams jedoch mit Fußgängern, Autofahrern und Naturflächen um knappen öffentlichen Raum. Da kommt eine weitere Alternative für urbane ÖPNV-Systeme ins Spiel: Seilbahnen.

Die Pariser Seilbahn Câble 1 ist 4,5 km lang und soll 1.600 Menschen pro Stunde transportieren. Sie soll 2025 in Betrieb gehen und einen Vorort mit dem Metronetz verbinden. Das Bild ist eine Visualisierung einer der fünf Haltestationen. Foto: Ile-de-France Mobilités

Obwohl in jeder einzelnen Kabine nur wenige Menschen Platz haben, ermöglichen Seilbahnen aufgrund kurzer Taktfrequenzen hohe Beförderungsleistungen. Hindernisse lassen sich mit ihnen ohne großen baulichen Aufwand überwinden, die Investitionskosten pro Kilometer liegen auf dem Niveau einer Straßenbahn, die Personal- und Energiekosten sind niedriger. Dennoch sind Seilbahnen im urbanen ÖPNV noch selten. Die meisten befinden sich in südamerikanischen Städten, in Caracas, Cali, Medellín und La Paz.

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Video: Seilbahn in La Paz: Kampf dem Verkehrskollaps. 2019 (5:22 Min., via yewtu.be)

Seilbahnbauer denken bereits über den reinen Schwebebetrieb hinaus, der einen Nachteil hat: geringe Kurvengängigkeit. Einst sollen die Kabinen in einer Station an ein autonomes Fahrzeug weitergegeben werden können, das dann auf der Straße oder auf einer eigenen Trasse weiterfährt – auch um Kurven.

Der Text erschien zuerst in „tomorrow“, dem Technologiemagazin von Schaeffler Technologies AG & Co. KG, und wurde für bachrauf.org aktualisiert/modifiziert.

Dr. Fritz Vorholz –
studierte in Köln Volkswirtschaft und Soziologie. Nach dem Studium arbeitete er für den Sachverständigenrat für Umweltfragen und von 1988 bis 2015 als Redakteur für die „Zeit“. Von 2016 bis Anfang 2020 leitete er die Strategische Kommunikation von Agora Verkehrswende. Seit Frühjahr 2020 arbeitet er wieder als Journalist, freiberuflich.