Foto: Dominik Baur

16. März 2022
Lesedauer 8 Minuten

Also die Küchenlampen gehen ja nun mal überhaupt nicht. Ein Angriff auf das ästhetische Empfinden einer jeden Studentin, eines jeden Studenten. Die Kritik an den Hängeleuchten ist einhellig. Markus Mühlbacher hat die Lampe in seinem Appartement auch gleich mal abgehängt; hier in der benachbarten WG, wo er gerade mit seinen Kommilitoninnen Zoe Dudek und Luise Bussjäger am Küchentisch zusammensitzt, haben sie sie zumindest etwas höher gehängt, damit man sie nicht so sieht. Harsche Kritik, und doch: Wer solche Kritiker hat, braucht keine Freunde mehr.

Bauherr des nachhaltigen Studentenwohnheims Peter Astner auf einer der Emporen des Campus RO mit Blick auf die noch im Bau befindliche Anlage, im Hintergrund die Berge
„Es hat anscheinend den Zeitgeist getroffen“: Bauherr Peter Astner auf dem Campus RO. Foto: Dominik Baur

Denn viel mehr fällt den dreien nicht ein, wenn sie über den Campus RO in Rosenheim lästern sollen. Sie gehören zu seinen ersten 70 Bewohnern, sind im Dezember hier eingezogen und noch immer sehr zufrieden mit der neuen Behausung. „Schon cool“ sei es hier. Die beiden Frauen kommen aus dem Münchner Speckgürtel. Einen vergleichbaren Studiengang hätten sie auch in München gefunden. Eine Wohnung dagegen? In München? Eher schwierig.

Es war deshalb nicht zuletzt der Wunsch, daheim auszuziehen, der den Ausschlag für Rosenheim gegeben hat. Dudek und Bussjäger, beide 20, studieren BWL, im dritten und im ersten Semester. Mühlbacher ist bereits 25 und gelernter Schreinermeister. Der Traunsteiner studiert im dritten Semester Ingenieurspädagogik, will Berufsschullehrer werden.

Aktuell befinden sie sich alle gerade im Prüfungsstress, aber hier lässt er sich aushalten. Campus RO, das ist das wohl nachhaltigste Studentenwohnheim Deutschlands und vielleicht auch das studentenfreundlichste. Wobei: Wohnheim, das ist natürlich auch wieder so eine Sache. Denn Peter Astner – das ist gewissermaßen der Erfinder des Campus RO –, der wird nicht müde zu erwähnen, dass er diesen Begriff im Zusammenhang mit dem Campus RO überhaupt nicht schätzt.

Kleiner Ortswechsel, über den Laubengang mal schnell zwei Stockwerke weiter nach oben. Von hier aus überblickt man das Gelände ganz gut. Es ist kalt und windig. Astner, ein Mann von fast zwei Metern, hat sich warm angezogen, trägt eine graue Mütze. Er zeigt auf die künftigen Dachterrassen, auf die beiden Häuserblocks, die im Frühjahr als nächstes bezogen werden, erzählt, wie das alles mal aussehen werde, wenn es erst mal fertig sei.

In ganz Deutschland habe er sich Studentenwohnheime angesehen, auch in der Schweiz und in Österreich. Und nein, so würde er nicht wohnen wollen. Alles total heruntergekommen. Deshalb verbittet sich Astner den Begriff Wohnheim für das, was hier gerade Gestalt annimmt. Quartier, okay. Oder eben Campus.

Und so soll er am Ende aussehen, der Campus RO. Das Gebäude im Vordergrund ist das Boarding House, in dem beispielsweise Eltern oder Gastdozenten absteigen können. Foto: PONNIE Images, Aachen; Architektur: ACMS Architekten GmbH, Wuppertal

Angefangen hat das Projekt ja recht unspektakulär – bei der Zeitungslektüre. Vor etwa zehn Jahren muss das gewesen sein, da stieß Astner auf einen Text über das Studentendorf in München, dem ehemaligen Olympischen Dorf, seitdem hat ihn das Thema studentisches Wohnen nicht mehr losgelassen. Gut, ein bisschen vom Fach ist der 55-Jährige als Anwalt für Baurecht natürlich. Außerdem lehrt er Baurecht an der Technischen Hochschule in Rosenheim. Als er dann noch mitbekommen hat, dass die Studenten hier zu Semesterbeginn teilweise im Auto schlafen, weil sie kein bezahlbares Zimmer gefunden haben, fand er, da müsse man doch was tun. Und „man“, das war halt dann er.

Als erstes galt es, einen passenden Ort zu finden. Hochschulnähe war dabei das wichtigste Kriterium. Die Studenten sollten praktisch vom Bett in den Hörsaal fallen können. Die Suche dauerte ein paar Jahre, doch dann fand sich 2015 das ideale Grundstück. Am Rande eines Gewerbegebiets, gleich nebenan hat ein großer Schuhhändler sein Outlet-Center. Aber auf der anderen Seite der Straße geht es direkt auf das Hochschulgelände.

Bloß das mit dem Nachahmen könnte noch besser laufen. So gäben sich hier Stadträte aus fast allen Fraktionen die Klinke in die Hand, erzählt Astner, seien begeistert – und beschlössen beim nächsten städtischen Bauprojekt dann doch wieder eine konventionelle und wenig klimaschonende Bauweise.

Auf dem Grundstück stand eine 8000 Quadratmeter große Lagerhalle. Astner fand eine Bank, die das Geld für das Projekt zur Verfügung stellte, steuerte selbst etwas Kapital bei und legte los.

Insgesamt hatte das Gelände 15.000 Quadratmeter. Ein Drittel davon verkaufte Astner an die Stadt, die darauf nun ein Projekt für geförderten Wohnraum und ein Schwesternwohnheim errichtet. Den verbleibenden Hektar behielt der Bauherr für „seine“ Studenten. Es folgten ein Architektenwettbewerb, eine Jury wählte unter 15 eingereichten Vorschlägen drei aus, von den sich Astner für einen, den eines Architekturbüros aus Wuppertal, entschied; im August 2020 schließlich war Spatenstich.

Und nicht einmal anderthalb Jahre später, im Dezember 2021, war bereits der Erstbezug im Gebäudekomplex A. In den B- und C-Häuserns sind aktuell noch die Handwerker am Werk. Ein Netz von Laubengängen und Treppen verbindet alle drei Gebäudekomplexe, mit einem einzigen Aufzug lässt sich jede der Wohnungen barrierefrei erreichen. Und die Laubengänge haben noch einen Vorteil: Jedes der langgestreckten Appartements bekommt von zwei Seiten Tageslicht.

Peter Astner führt in das letzte noch nicht bezogene Appartement des Blocks A. 23 Quadratmeter, einfach, aber modern eingerichtet. Allenfalls könnten Boden und Möbel für manchen Geschmack etwas zu dunkel geraten sein. Gleich neben der Tür ist die Kochnische, Astner setzt sich an das kleine Küchentischchen und deutet auf die Sitztruhe, Sie sei genau so konzipiert worden, dass zwei Tragerl Bier hineinpassten.

Innenansichten. © Bruederl Manukaftur, Foto: Manuel Hollenbach

Vom Bier kommt Astner schnell zurück auf das große Ganze: „Wir verbauen hier 1800 Kubikmeter Holz“, erzählt er. „Der gesamte Campus ist aus Holz, alle tragenden, alle nicht tragenden Wände, die Decken. Wie lange, schätzen Sie, dauert es, bis diese 1800 Kubikmeter in den bayerischen Staatsforsten nachwachsen? Nur in Bayern? Der gesamte Campus?“ Astner macht eine Pause, freut sich über das ratlose Gesicht des Gegenübers und antwortet schließlich selbst: „50 Minuten.“

Das reicht noch nicht mal für einen Kinobesuch, denkt man sich. Es sind also Baustoffe, denen man quasi beim Nachwachsen zuschauen kann, die hier zum Einsatz kommen. Das Holz kommt aus Bayern und Österreich, aus zertifiziert nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Nur auf den Decken ist aus Statikgründen noch eine zusätzliche Schicht Ortbeton, und die Laubengänge sind wegen des Brandschutzes aus Beton-Fertigteilen. Derzeit dominieren sie noch die Optik der Anlage, lassen sie etwas kalt erscheinen. Doch schon bald sollen sie hinter vertikalen Gärten aus Kiwipflanzen verschwinden.

Seinen Strom produziert der Campus selbst

Der Campus RO war von Beginn an als nachhaltiges Vorzeigeprojekt konzipiert. Die Holzhybridbauweise, die den CO2-Fußabdruck beim Bau um die Hälfte reduzieren soll, ist dabei nur ein Aspekt. Es ging ja schon los, als noch die alte Logistikhalle stand. Normalerweise hätte man sie abreißen und entsorgen lassen. Stattdessen entschied sich Astner für Urban Mining direkt an Ort und Stelle: Er ließ den Bitumen in Handarbeit vom Dach abziehen, auch sonst die Schadstoffe aus der Bausubstanz der Halle entfernen. Der Rest wurde mit einer riesigen Maschine geschreddert und auf dem Gelände wieder verbaut, zum Beispiel als Füllmaterial. 5500 Kubikmeter Abraum. Das sind schon fast 140 Bauschuttcontainer, und zwar die richtig großen.

Auch die Innenhöfe sollen möglichst grün werden, auf verschiedenen Ebenen gibt es bepflanzte Dachterrassen, dort können sich die Bewohnerinnen und Bewohner auf ein Bier treffen oder gemeinsam in einem der Hochbeete Gemüse ziehen. Nur ganz oben, da ist weniger Platz – wegen der Photovoltaikanlagen. Schließlich wird der gesamte benötigte Strom hier selbst produziert. Die Heizung ist an das Fernwärmenetz der Rosenheimer Stadtwerke angeschlossen, unterm Strich erreichen die Gebäude die höchste Energieeffizienzstufe KfW 40 plus.

Der Blick von oben auf die Baustelle des Studentenwohnheims "Campus RO"
Es gibt nur einen Aufzug für alle drei Häuserblocks. Über die Laubengänge erreicht man dennoch jedes Appartement barrierefrei. Foto: Dominik Baur

Durch den rundum nachhaltigen Ansatz, der vom Bau über den Betrieb und die Wiederverwertbarkeit aller baulichen Komponenten bis zu den kurzen Wegen zur Hochschule reicht, erhielt das Projekt auf Anhieb Gold im Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Dadurch angespornt schielten Astner und ein Partnerunternehmen, dass er zwischenzeitlich noch mit ins Boot geholt hat, nun auch auf Platin, den höchsten Standard. Viel war dafür an ihrem Konzept nicht zu ändern. Ein paar Nistkästen für Fledermäuse, mehr nicht.

„Wir hatten es überhaupt nicht auf die Zertifizierung angelegt. Wir hatten unsere eigenen Ideen und Freude daran, das Richtige zu tun. Und daraus ist etwas geworden, was anscheinend echt den Zeitgeist getroffen hat.“ Ein Leuchtturmprojekt, das auf möglichst viele Nachahmer hofft. Der gebürtige Rosenheimer fühlt sich in seiner Funktion als Leuchtturmwärter auch ganz offensichtlich wohl. Bloß das mit dem Nachahmen könnte noch besser laufen. So gäben sich hier Stadträte aus fast allen Fraktionen die Klinke in die Hand, erzählt Astner, seien begeistert – und beschlössen beim nächsten städtischen Bauprojekt dann doch wieder eine konventionelle und wenig klimaschonende Bauweise.

Nun ist Nachhaltigkeit das Eine, und Luise Bussjäger etwa sagt, das sei schon einer der Punkte gewesen, die den Campus RO für sie attraktiv gemacht hätten: „dass hier alles sustainable ist“. Aber Nachhaltigkeit macht per se noch keinen Wohnkomfort. Und dass sich die Menschen, die hier leben und studieren sollen, auf dem Campus RO auch wohlfühlen, das ist Astner mit das Wichtigste. Fast noch wichtiger als das Wohlbefinden der Fledermäuse.

Auf den Dachterrassen sollen die Studentinnen und Studenten später Gemüse ziehen können – oder Partys feiern. Foto: Dominik Weimar; Pressefoto Campus RO

Um auch wirklich den Geschmack seiner Zielgruppe zu treffen, hat Astner im Vorfeld viel mit Studentinnen und Studenten zusammen am Konzept gearbeitet, gefeilt. Dabei kam etwa heraus, dass sich die meisten von ihnen Einzelappartements wünschen, keine WGs. Entsprechend wurde dann der Schlüssel festgelegt: 32 WG-Plätze wird es nun geben, zwei Familienwohnungen und 173 Einzelappartements. Aber jeder allein in seinem Kämmerchen – ist das wirklich noch studentisches Wohnen? Moment mal! Astner erhebt Einspruch: Was heißt hier allein? Gemeinschaftliches Wohnen sei hier ganz wichtig. Und überhaupt, die Studentinnen und Studenten lebten hier sehr wohl in einer WG: „Es ist halt keine Zweier- oder Vierer- oder Achter-WG; es ist eine 211er-WG. Und gleichzeitig hat jeder die Möglichkeit, sich in seine Bude zurückzuziehen.“

Treffen kann man sich dann ja zum Beispiel im Waschraum. Wobei man sich dabei natürlich keinen dieser dunklen Kellerräume vorstellen darf, in dem ein paar alte Waschmaschinen rumstehen. Nein, es ist ein Waschsalon mit Tageslicht, Loungeatmosphäre und Getränkeautomat. Auch wer gerade keine schmutzige Wäsche hat, kann hier zum Chillen kommen. Es ist einer von Astners Lieblingsräumen auf dem Gelände. „Mein wunderbarer Waschsalon“, sagt er nur. Eine Anspielung, die hier freilich keiner versteht, denn als der Film von Stephen Frears in den Kinos lief, da war Astner selbst noch im Alter seiner jetzigen Mieter.

4 Aufnahmen von Ensembel, Fassade, Innenhof und Innenräumen
Studentenwohnheim Wuppertal. Foto: Sigurd Steinprinz / Hochschul-Sozialwerk Wuppertal

Nachhaltiger Wohnen

Während noch immer viele Studentenwohnheime in Deutschland durch konventionelle Bauweise und Ideenlosigkeit bestechen, gibt es immer wieder Projekte, die ökologisch und architektonisch neue Wege gehen wollen.

So heizt ein Wohnheim in Würzburg mit Erdwärme und Solarthermie, in Wuppertal und Münster können die Studentinnen und Studenten in Passivhäusern wohnen, in Münchfeld bei Mainz hat das Studierendenwerk vorgeführt, wie mit nachträglicher Dämmung und effizienter Anlagentechnik auch Bestandsgebäude nachhaltig saniert werden können, und in Berlin-Tiergarten wurde aus einem Betonklotz aus den Sechzigern 2015 mit viel Grün ein „Haus für urbane Gartenfreunde“.

Weitere „innovative Studentenwohnheime“ mit Kurzportrait und Links unter: studentenwerke.de.

Gegenüber gibt es eine Community Kitchen zum gemeinsamen Kochen oder Partys Feiern. Auch Kochseminare sollen hier später einmal stattfinden. Dazu ein großer Veranstaltungsraum, Coworking Spaces, eine komplett eingerichtete Fahrradwerkstatt. Ein Sharing-System für E-Bikes, vielleicht sogar für E-Roller und -Autos wird auch nicht fehlen.

Der Höhepunkt des Campus, zumindest rein topografisch gesehen, soll das sechsstöckige Boarding House werden, dessen Keller sie gerade ausheben. Hier können beispielsweise Eltern günstig logieren, die ihre studierenden Kinder besuchen, oder Gastdozenten.

Die Gemeinschaftsräume sind selbstverständlich in der Miete inbegriffen wie auch ein eigener Internetanschluss im Zimmer sowie W-Lan auf dem ganzen Gelände. Gut, die Miete ist etwas höher als in „normalen“ Wohnheimen, aber das, da sind sich Zoe Dudek, Luise Bussjäger und Markus Mühlbacher einig, ist es wert. Und Peter Astner weist daraufhin, dass er ja anders als ein Studentenwerk keinerlei Fördermittel für studentisches Wohnen bekomme. Dennoch mache man sich Gedanken, wie man ein Kontingent an Zimmern an Studenten günstiger vermieten kann, die sich den Campus sonst nicht leisten könnten. Derzeit liegen die Mieten etwa zwischen 400 und 700 Euro.

Die Höhe orientiert sich dabei in erster Linie an der Lage der Wohnung. Wer ganz oben wohnt, zahlt am meisten. Aber der hat dann auch ein „Penthouse mit Bergblick“, wie es Astner nennt. Was will man da mehr? Gut, da wären noch die Lampen …

Dieser Artikel ist zunächst im Februar 2022 in einer etwas kürzeren Fassung in der „taz“ erschienen.

Dominik Baur –
ist Bayern-Korrespondent der „taz“, schreibt aber als freier Journalist auch gern über Themen aus Umwelt und Gesellschaft. Mehr auf gschichten.de.