Laubengang des Mehrgenerationenprojekts in Windach. Foto: Andrea Kästle

1. März 2021
Lesedauer 4 Minuten

In Feldafing haben sie ihn vor einiger Zeit beauftragt, den alten Bahnhof umzubauen. Das Rathaus sollte dorthin umziehen. Architekt Benedikt Sunder-Plassmann hat die Planungen natürlich gern übernommen. Aber er sagte der Gemeinde auch gleich, dass es nicht ausreichen würde, den Bahnhof lediglich als Rathaus zu nutzen. Weil eine Verwaltung ja am Freitag schon mittags zusperrt. Weil so ein Bahnhof eine öffentliche Nutzung verdient hat. Also planten sie um – und konzipierten den Sitzungssaal im Rathaus als Bürgersaal, der in Corona-fernen Zeiten schon öfters für Jazzkonzerte genutzt worden ist.

Benedikt Sunder-Plassmann, das kann man wirklich sagen, ist ein besonderer Architekt. Er will nicht einfach weiterbauen, wie in den letzten Jahrzehnten gebaut worden ist. Er sagt, es gäbe auch eine „positive Dichte“, und die Dörfer im Großraum München, die natürlich den Siedlungsdruck aus München enorm zu spüren bekommen, sollten sich trauen, diese Dichte auch zu realisieren. Statt weiterhin ihre Dorfränder zuzuknallen mit weiteren Siedlungen für Einfamilienhäuser.

Gleichzeitig findet er es einen „Irrsinn“, bestehende Häuser, wie es eigentlich Usus ist, wenn die weitergegeben werden an die nächste Generation, einfach abzuräumen. Er sagt: „Wir dürfen nicht mehr abreißen, das ist der größte Fehler, den wir machen können. Zehn Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes wird verursacht durch die Zementherstellung.“

Bahnhof von Feldafing, Mehrfachnutzung
Der alte Bahnhof von Feldafing, inzwischen genutzt von der Verwaltung, aber auch für Konzerte. Der Sitzungssaal wurde letztlich als Bürgersaal konzipiert, und ein Café fand auch noch Platz in dem alten Gebäude. Sunder-Plassmann hätte es schade gefunden, wenn der Bahnhof am Wochenende nicht zugänglich gewesen wäre für die Feldafinger – nur weil die Verwaltung am Freitag Mittag zusperrt. Der Architekt sagt: „Wir sollten aufhören damit, beim Bauen nur monokausal zu denken.“ Foto: Michael Heinrich

Er kommt aus der Ammersee-Gegend südlichwestlich von München, dort ist er aufgewachsen, dort hat er seine Zimmerer-Lehre gemacht. Dort steht man mit ihm an einem kalten Donnerstag-Nachmittag vor einem Grundstück in einer Doppelhaus-Gegend in der Gemeinde Greifenberg, das er vor elf Jahren bebaut hat. Normal wäre dorthin einfach ein weiteres Doppelhaus gekommen, aber Sunder-Plassmann bekam auf dem Areal am Ende drei Einzelhäuser unter, und in jedem Einzelhaus sind eine Familien- und eine Single-Wohnung untergebracht. Ursprünglich war ein Teil der Single-Wohnungen im Erdgeschoss auch als Büros geplant worden.

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„Man müsste den Kapitalmarkt schon zu ein paar Anständig­keiten zwingen“

Ein Gespräch mit dem Architekten Andreas Hofer über attraktive Quartiere, gierige Spekulanten und vermeintliche Platzprobleme.
Von Dominik Baur

Sunder-Plassmann, der in Weimar studiert hat und heute wieder am Ammersee wohnt, sagt, die klassische Bebauung von Grundstücken mit Einzel- oder Doppelhäusern sei einfach nicht mehr zeitgerecht – und sei vielleicht auch nie zeitgerecht gewesen. Denn diese Bauformen würden gar nicht den Bedarf einer Gesellschaft widerspiegeln, die jedenfalls heute und rund um München zu 40 Prozent aus Singles besteht.

„Auch eine Familie kann ihr Einfamilienhaus wirklich nur zehn Jahre nutzen, nämlich dann, wenn die Kinder zwischen acht und 18 sind.“ Vorher und nachher sei es zu groß, barrierefrei könne man es in den wenigsten Fällen umbauen, „am Ende ist Vereinsamung die Folge“.

Windach: Architekt Sunder-Plassmann hat im Auftrag der Genossenschaft Maro ein Mehrgenerationenpprojekt umgesetzt
Den alten Pfarrhof von Windach hat Sunder-Plassmann im Auftrag der Genossenschaft Maro, die Mehrgenerationenprojekte auf dem Land errichtet, renoviert und um einen Anbau erweitert. Insgesamt 15 Wohnungen sind so entstanden, 50 bis 105 Quadratmeter groß, erschlossen werden sie über einen Laubengang auf der anderen Seite des Hauses. Für einen Teil der Wohnungen hat die Gemeinde das Belegungsrecht, auch anerkannte Geflüchtete leben hier. Sunder-Plassmann sagt: „Vorher war hier einfach Leerstand, und jetzt wird hier tolle Integration gelebt.“ Foto: Andrea Kästle
Wohnhäuser in Greifenberg, Mehrfachnutzung
Die ursprüngliche Idee für die drei Wohnhäuser in Greifenberg war gewesen, hier Wohnen und Arbeiten zu vereinen; die Einheiten im Erdgeschoss waren als Büros geplant worden. Inzwischen sind fast alle in Wohnungen umgewandelt worden. Die Familienwohnungen darüber haben zwei Ebenen und sind rund 150 Quadratmeter groß. Zwischen zweien der Häuser ist nur ein schmaler Durchgang, der an die schmalen Gassen, die in mittelalterlichen Städten und Dörfern ja gang und gäbe waren, erinnert. „Trotz der positiven Dichte hat jeder seinen Rückzugsraum.“ Foto: Andrea Kästle

Sunder-Plassmann hat sich, auch in seiner Funktion als Vorsitzender des Wessobrunner Kreises, eines Zusammenschlusses aus Handwerkern und Architekten, der sich seit 20 Jahren für innovative Bauformen einsetzen, viele Gedanken auch über die Zukunft der bayerischen Dörfer gemacht.

Immer mehr Landwirte hören auf, jeder pendelt zur Arbeit, er sagt: Die Gemeinden müssten sich trauen, im bestehenden Siedlungskern nachzuverdichten – und auf schon bebauten Grundstücken zweite Baufenster zu erlauben. Wo dann Austragshäusl für die Alten hinkommen könnten, die damit dann die vormals von ihnen bewohnten größeren Häuser für junge Familien freimachen können.

Man kann sich lang mit ihm über anderes Wohnen unterhalten. Er findet auch: „Man muss die Menschen wieder zusammenbringen.“ Deshalb die Jazzkonzerte im alten Bahnhof in Feldafing. Deshalb hat er in Greifenberg auch die drei Einzelhäuser um einen gemeinsamen Hof gebaut, über den alle sechs Wohneinheiten erschlossen werden.

Dieser Artikel ist im Februar 21 im „Münchner Merkur“ erschienen.

Andrea Kästle –
lebt, seit sie 18 ist, vom Schreiben. Sie war in Wien beim „Falter“, dann lang bei der Münchner Abendzeitung, seit deren Verkauf arbeitet sie frei. Sie hat ein Unternehmen, in dem sie Privatbiographien schreibt und herausgibt und unterrichtet auch Biographisches Schreiben. Mehr auf leben-und-schreiben-lassen.de.