„Glücklich, ich bin glücklich“, sagt Toni und nestelt etwas ungeschickt mit dem Vorhängeschloss herum. Der hagere Mann, dem man ansieht, dass er es nicht leicht hatte im Leben, ist gerade Besitzer eines eigenen Hauses geworden. Das Haus steht unter einer Fußgängerbrücke in Pankow und hat nur ein Zimmer, welches zugleich Schlafzimmer, Küche und Badezimmer ist. Ein Little Home, aber ab sofort Tonis feste Unterkunft. Auch Sven Lüdecke ist froh. Mit dem kleinen Holzhaus hat der seit langem obdachlose Toni eine Chance, seinem Leben eine neue Richtung zu geben.
Mit dem Little Home haben wohnungslose Menschen die „Möglichkeit, wieder mal durchzuschlafen, ohne Angst vor tätlichen Angriffen oder Erfrierung zu haben“, sagt Sven Lüdecke. „Sie können einfach mal zur Ruhe kommen und über Alternativen zum bisherigen Leben nachdenken.“ Allein das sei der Einsatz des von Lüdecke 2017 gegründeten Vereins Little Home e.V. wert.
Insgesamt 267 Little Homes stehen in ganz Deutschland
Der ehemalige Profi-Fotograf Lüdecke hatte 2016 eingegriffen, als Wachschützer am Kölner Hauptbahnhof die obdachlose Ivana traten und misshandelten. Wie kann man niedrigschwellig helfen, habe er sich damals gefragt. Am 6. November 2016, das weiß der 45-Jährige noch genau, habe er das erste Little Home an die Frau vom Hauptbahnhof übergeben. Dieses erste Haus wird heute im Freilichtmuseum Kommern bei Köln gezeigt.
Der Vereinsgründer, kommunikativ und mit ansteckender Macher-Mentalität, hat seitdem insgesamt 267 Little Homes in ganz Deutschland aufgestellt – von München bis Hamburg, von Düsseldorf bis Leipzig. Und viele davon stehen in Berlin. Beim Erfolg half enorm, dass der bundesweit vertretene Baumarkt Toom kurz nach der Vereinsgründung seine Unterstützung anbot. Das Unternehmen sponsort seitdem Materialien und Werkzeug, um die komplett aus Holz bestehenden Häuser zu bauen.
Im August 2022 gelang es Lüdecke zudem, öffentlichkeitswirksam auf das fünfjährige Jubliläum seines Obdachlosen-Projekts aufmerksam zu machen. Er schaffte es, den Weltrekord der „meisten Teilnehmenden an einem eintägigen sozialen Minihaus-Bauprojekt“ aufzustellen und dafür 100 tatkräftige Mitstreiter:innen zu gewinnen. Auf dem Parkplatz des Toom-Baumarkts in Friedrichshain wurde gesägt und gehämmert, es wurden Fenster und Türen in Wände eingesetzt und Dächer regendicht gemacht, bis am Ende des Tages zehn Minihäuser gemeinsam fertiggestellt waren.
Außen eineinhalb mal drei Meter, Innen Matratze, Toilette, Gaskocher
Die eineinhalb Meter breiten und knapp drei Meter langen Häuschen sind mit Styropor so gedämmt, dass auch ohne Heizung bei strenger Kälte drinnen noch über Null Grad herrscht. „Erfrieren kann darin niemand“, sagt Lüdecke. Ausgestattet sind die Ultra-Tiny-Houses mit sozialem Mehrwert neben einer Matratze mit einem Chemie-Klo, einem Gaskocher, sowie einem Erste-Hilfe-Kasten, Feuerlöscher und Rauchmelder, zeigt Sven Lüdecke. Und schmuck aussehen tun die Häuschen mit ihren frohen Farben und individuell gestalteter Fassade außerdem. Alle Häuschen haben Rollen, um sie zu bewegen – „damit umgehen wir die Baugesetze“, erklärt Sven Lüdecke die Lücke im System der Genehmigungen.
Inzwischen stehen die Hütten in 24 Städten bundesweit und geben teilweise jahrelang wohnungslosen Menschen ein Zuhause. Über die genauen Standorte wird nicht gerne gesprochen. Lüdecke möchte nicht, dass Menschen aus falsch verstandener Hilfe ausrangierte Haushaltsgegenstände vorbeibringen, die dann das Umfeld verschmutzen und den Standort in Misskredit bringen.
Toni, der neue Bewohner, hat gerade einen Schenkungs-Vertrag unterschrieben. Es sei wichtig, dass die vorher wohnungslosen Menschen sich als Eigentümer begriffen, weil sie dann pfleglicher mit dem Haus umgehen würden, so Lüdecke. Toni, der gerade noch mit anderen Helfer:innen das Haus und die Umgebung gereinigt hat, wird gleich mit Sven Lüdecke im Baumarkt einkaufen gehen – von einer neuen Matratze bis zum neuen Chemie-Klo. Auch Bettwäsche – obwohl der Gedanke Toni erst einmal irritiert. Schließlich war der Schlafsack jahrelang sein einziger Besitz.
Sven Lüdecke erzählt vom Netzwerk der Unterstützer:innen, das den Verein mit seiner Idee erst wirklich erfolgreich macht. Toni etwa ist von der zuständigen Kontaktbereichsbeamtin empfohlen worden. Die Zusammenarbeit „funktioniert super“, erzählt Lüdecke. Mit dabei sind auch die Straßensozialarbeiter:innen von Karuna, die regelmäßig vorbeikommen und Angebote machen – vom Wäsche waschen bis zum Duschen. Denn viele wohnungslose Menschen haben Probleme, ihr Leben zu organisieren, oder sind gesundheitlich angeschlagen oder psychisch labil. Auch mehrere Bezirksverwaltungen wie Pankow oder Charlottenburg-Wilmersdorf unterstützen das Projekt. Der Neuköllner Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) engagiert sich dabei ganz besonders. Auch bei der Weltrekord-Aktion im August war er mit einem ganzen Team aus seiner Verwaltung tatkräftig mit dabei.
Der Little Home e. V.
Mit Hilfe des Little Home e. V. zogen bis heute 155 obdachlose Menschen aus den Little Homes in eine eigene Wohnung; 109 Menschen wurde außerdem zu einem festen Job im Arbeitsleben verholfen. Der Verein freut sich über tatkräftige Mithilfe bei Bau und Transport der Häuser und über Geldspenden:
Little Home e. V.
IBAN: DE 6843 0609 6711 2398 6900
BIC: GENODEM1GLS
(GLS Gemeinschaftsbank)
Alle Infos unter: little-home.eu
Gerade angesichts des Wohnungsmangels in Berlin, der es selbst „normalen“ Menschen schwer macht, eine Wohnung zu finden, sind die kleinen Häuschen ein erster Schritt raus aus der Obdachlosigkeit. Selbstverständlich führe auch mit Little Home nicht automatisch ein gerader Weg zurück in ein geordnetes Leben, in einen Job und feste soziale Beziehungen. Aber die meisten Menschen würden die Chance nutzen, so Lüdecke.
Nicht immer klappt es mit dem Neustart in ein geregeltes Leben. Tonis Vormieter schaffte es nicht; er sitzt nun eine Haftstrafe ab und ließ Haus und Vorplatz völlig vermüllt zurück. Aber eine Gesellschaft muss es auch aushalten, dass ein solches Hilfsangebot scheitert, ist Sven Lüdecke überzeugt.
Toni hat tatkräftig mitgeholfen, den Unrat vor und im Haus zu beseitigen. Vorsichtig fegt er alle Glasscherben zusammen. Nun ist es wieder sauber unter der Fußgängerbrücke. Das ist Toni auch deshalb wichtig, damit sich sein Hund seine Pfoten nicht an den Scherben schneidet. Pläne hat Toni auch schon. Der Wagen soll bald zu einem anderen Platz mit mehr Grün in der Umgebung gebracht werden – damit es auch der Hund gut hat.
Der Artikel wurde leicht aktualisiert und erschien urspünglich im November 2022 im „Tagesspiegel“.
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Nachtrag August 2023:
Beim Bau der Little Homes, den er zum Großteil durch Teambuilding-Events mit ausgewählten Firmen aus der ganzen Welt vorantreibt, möchte es Sven Lüdecke nicht belassen. Sein Traum: Ein eigener Bauernhof, auf dem Obdachlose nicht nur Zuflucht, sondern auch Arbeit finden können. Finanziert werden soll dieser unter anderem durch die Herstellung und den Vertrieb eines von Lüdecke kreierten Erfrischungsgetränks namens „Lyddi“. Die Zutaten würden vom Ingwer bis zum Honig allesamt auf diesem Hof produziert werden, Arbeitsplätze sowohl in der Landwirtschaft, als auch bei der hauseigenen Herstellung und Abfüllung entstehen, so der Plan. Probieren kann man den Lyddi bereits jetzt in ausgesuchten Cafés in Berlin, oder man ordert ihn einfach auf der Website des Vereins.
Zudem entwickeln Lüdecke und sein Team gerade eine zweite Generation von Little Homes. Die Häuschen sind mit acht Quadratmetern deutlich größer als die bisherigen Homes und anders als diese für den Einzelhandel gedacht. Ob für den Garten oder den Campingplatz: Die Little Homes 2.0 sind als Bausatz im Baumarkt erhältlich, TÜV-geprüft und als Aufsatz für einen Anhänger sogar für den Transport auf der Autobahn zugelassen. Auch hier kommt der Erlös dem Little-Home-Verein zugute. Optional kann ein eingespieltes Team für den reibungslosen Aufbau des Homes engagiert werden, was wiederum Obdachlose in Lohn und Arbeit bringt.
Links zum Thema
- Homepage „Little Home e. V.“
Gerd Nowakowski –
arbeitet für den Tagesspiegel und war als Leitender Redakteur Mitglied der Chefredaktion. Zuvor gehörte er zur Gründungsgeneration der taz und war dort sowohl Leiter des Berlin-Ressorts als auch Vorstandsmitglied. Mehr auf tagesspiegel.de.