Foto: Manfred Jarisch / Bayerische Staatsforsten

4. September 2021
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Das Problembewusstsein ist da, und es ist ja auch keine Meisterleistung nötig, um das Problem geistig zu durchdringen: Stahlbeton war eine moderne und beeindruckende Erfindung, als ein britischer Bauunternehmer 1854 das Patent darauf anmeldete – doch in Zeiten der Klimakrise ist es kein Stoff, auf den man guten Gewissens bauen kann. Einer der größten Energiefresser weltweit ist die Zementproduktion. Und ohne Zement kein Stahlbeton.

Immer öfter versucht man daher, ohne mineralische Baustoffe auszukommen. In Regensburg wurde im Sommer 2021 das „Haus auf Stelzen“ fertiggestellt (Foto oben). Die Bayerischen Staatsforsten haben das Wohnhaus aus Holz als Leuchtturmprojekt konzipiert. An der Technischen Hochschule Rosenheim entsteht ein Studentenquartier in Holz. In Berlin-Neukölln verzichtet Karstadt auf den geplanten Abriss eines Kaufhauses und will ihm stattdessen einen Holzaufbau verpassen. Und ein paar Kilometer weiter in Tegel soll auf dem Gelände des gewesenen Flughafens das weltweit größte Holzbauviertel wachsen.

Holz liegt im Trend. Und doch: Solche Bauprojekte sind noch immer Nachrichten, sind noch immer das Außergewöhnliche. Der Standard, das sind Stahlbeton, Ziegel. Aus ihnen werden Häuser gemacht. Gerade mal 18 Prozent der Neubauten in Deutschland werden derzeit aus Holz errichtet.

Holzbau-Pionier Erwin Thoma, Holzbau Konstuktionen, die der Ewigkeit sehr nahe kommen
Holzpionier Thoma. Foto: Jansunsan CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons

Erwin Thoma wollte sich beruflich eigentlich auch nicht der Holzverarbeitung widmen – obwohl seine Familie im Salzburger Land sich damit schon seit dem Mittelalter befasst. Ihn interessierte das Holz mehr draußen im Wald; er wurde Förster. Sein Interesse kam erst, als er Ende der Achtziger mit seiner Familie umzog und zwei seiner Kinder im neuen Haus Asthma bekamen. Der Leim in den Holzverkleidungen hatte sie krank gemacht. Fortan verschrieb sich auch Thoma dem Holzbau. „Ich hab’ mir gesagt: Ich will gesunde Häuser bauen. Ein Haus sollte so gesund sein, wie wenn man sich draußen im Wald aufhält.“

Dann kam in den Neunzigern das Thema Energieeffizienz dazu, später dann die Klimafrage, und so kam halt eines zum anderen, und Thoma lieferte die Lösungen. Inzwischen ist der 59-Jährige längst auch gefragter Vortragsreisender und Bestsellerautor („Die geheime Sprache der Bäume“), und Firmen wie die seine, Holz100 heißt sie, bauen indes auf der ganzen Welt die quasi lebenden Beweise, dass der Mann weiß, wovon er spricht.

Die Mauern und Wände der Holz100-Häuser bestehen ausschließlich aus Massivholz. Verbundstoffe? Braucht es nicht, das Holz wird nur mechanisch mit Holzdübeln verbunden. Der Vorteil: Eine Mauer, die aus nur einem Material besteht, schimmelt nicht. „Und dann haben wir begonnen, Häuser zu bauen, die ohne Dämmstoff energieautark sind. Die nur mit der Sonne, die aufs Haus scheint, heizen und kühlen.“ Sprich: Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach betreibt eine Wärmepumpe, und die thermische Trägheit des Massivholzes speichert die Wärme im Winter und verhindert ein Aufheizen im Sommer.

Erstmal galt es natürlich, mit Vorurteilen aufzuräumen, mit denen der Baustoff Holz seit der Nachkriegszeit behaftet war. Denn auch Holzhäuser entsprechen allen Brandschutzanforderungen, sind schalldicht, ja, sogar erdbebensicher. Und: Sie halten. Wenn man’s richtig macht. Selbst Hochhäuser aus Holz sind heute kein Problem mehr, nur ab einer gewissen Höhe wird es sehr teuer.

Ganz besondere Bedeutung kommt dem Holzbau mittlerweile infolge der Klimakrise zu. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum kam vor ein paar Jahren zu dem Ergebnis, dass sich 23,9 Millionen Tonnen CO2 einsparen ließen, indem man 55 Prozent aller deutschen Einfamilienhäuser und 15 Prozent aller Mehrfamilienhäuser zwischen 2016 und 2030 aus Holz statt aus Beton bauen würde.

„Sogenannte ökologische Passivhäuser sind, obwohl sie im Betrieb in der Energiebilanz positiv sind, am Ende als Sondermüll zu entsorgen.“

Eine bestechende Rechnung. Nur: Sie geht natürlich nur auf, wenn das CO2 dann auch als Kohlenstoff dauerhaft in dem Holz bleibt. Und das ist auch bei heutigen Holzbauten eher selten der Fall. Sobald das Holz verrottet oder verbrannt wird, wird das CO2 wieder freigesetzt. Die Quintessenz: Wir müssen für die Ewigkeit bauen. Oder zumindest für Zeiträume, die der Ewigkeit verdammt nahe kommen.

Ansonsten ist es – wie so oft bei der Klimaproblematik – nur ein kleiner Aufschub. Soll sich doch die nächste, vielleicht auch die übernächste Generation mit dem Problem rumschlagen. Holzpionier Thoma warnt: „Sogenannte ökologische Passivhäuser sind, obwohl sie im Betrieb in der Energiebilanz positiv sind, am Ende als Sondermüll zu entsorgen und eine fürchterliche Hypothek für künftige Generationen.“ Thoma fordert daher eine „echte Kreislaufwirtschaft“. Er wiederholt die Vokabel noch einige Male. „Ich muss ein Haus so bauen, dass aus einem Haus wieder ein Haus wird. Erst dann habe ich das Rohstoffproblem bis zurück an die Quelle gelöst.“

Die gute Nachricht: Es ist möglich. „Das Holz kann Jahrtausende halten“, erklärt Thoma. Solange Dach und Gebäude dicht seien, werde das Material nicht zersetzt. Aber was, wenn in 50 Jahren keiner mehr in dem Holzhaus wohnen will, das ich noch heute so schick finde? Davon könne man sogar fast mit Sicherheit ausgehen, sagt Thoma. Deshalb sei es so wichtig, im Baukastensystem zu bauen. So dass das Material beim Rückbau leicht zu trennen und wieder verwendbar sei. Kreislaufwirtschaft eben.

Die ist natürlich auch bei den anderen Baustoffen gefragt. Denn ganz ohne Beton beispielsweise wird es auch künftig nicht gehen. Die Stadt München etwa ist gerade dabei das Gelände der ehemaligen Bayernkaserne zu bebauen. Über 5.000 neue Wohnungen sollen hier entstehen – unter anderem aus dem recycleten Beton der Kaserne. „Zum Glück“, sagt Thoma, „gehen uns praktisch nirgends die technischen Lösungen ab. Wir haben das Wissen, wir haben die Lösungen.“

Dieser Artikel ist zunächst im September 2021 im Magazin „Mehrwert“ erschienen.

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Dominik Baur –
ist Bayern-Korrespondent der „taz“, schreibt aber als freier Journalist auch gern über Themen aus Umwelt und Gesellschaft. Mehr auf gschichten.de.