Foto: Sebastian Gabriel

3. Juni 2022
Lesedauer 6 Minuten

Violettes Licht umflutet die Basilikum-Keimlinge, die Reihe um Reihe, Etage über Etage, aufgestapelt sind. Den zarten Pflänzchen ist es egal, ob heute draußen die Sonne scheint, es kalt ist oder schneit. In dem kleinen Container werden sie künstlich versorgt.

An diesem Morgen ist der Himmel wolkenlos blau, ein unberührter Schneeteppich liegt auf der Anhöhe am Staudengarten der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Unten schlummert die kleine Universitätsstadt Freising.

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Heike Mempel sieht im Indoor-Farming eine gute Alternative, ergänzend zu Freiland und Gewächshaus.
Foto: Sebastian Gabriel

Heike Mempel, Professorin für Technik im Gartenbau und Qualitätsmanagement, schlüpft in ihren Kittel. Ihre Haare sind weiß wie der Schneeteppich, über den sie gerade gestapft ist. Warme Augen, schüchternes Lächeln. Sie leitet das Applied Science Centre for Smart Indoor Farming an der Freisinger Hochschule. In dem schmalen Container findet man keine Gartenhacke, keinen Krümel Erde. Stattdessen LED-Röhren, Schläuche, Kameras. Unter anderem wird hier erforscht, was Pflanzen benötigen, wenn sie komplett abgeschottet von Umwelteinflüssen wachsen.

Es sind Menschen wie Heike Mempel, die wir brauchen werden. Die industrielle Landwirtschaft hat uns in eine Sackgasse geführt. Während die Politik zögerlich handelt, aber nicht zögert, große Versprechungen zu machen, sind es Wissenschaftler, Landwirte, Unternehmen und Organisationen, die an pragmatischen Lösungen arbeiten. Ihre Ideen sind so vielseitig wie die Landwirtschaft selbst. Und das ist gut so, weil sicher ist:  Es gibt nicht die eine Lösung, denn es gibt nicht die eine Landwirtschaft.

Klimawandel und Ressourcenmangel bedrohen zunehmend unsere Ernährungsgrundlage. Die Absicht, sich von Freiland-Faktoren unabhängig zu machen, liegt da nahe. Indoor Farming scheint eine gute Alternative: Der Wasserverbrauch ist unschlagbar gering. Gestapelt brauchen die Pflanzen wenig Platz. Nährstoffe können sparsam eingesetzt werden, Pflanzenschutzmittel fallen weg. Klingt ideal, wäre da nicht der Energieverbrauch.

Dass sich Indoor-Farming dennoch etablieren wird, davon ist Mempel überzeugt: „Nicht als einzige Lösung, aber als Ergänzung.“ Dort zum Beispiel, wo ein Überschuss an regenerativer Energie, wie bei Windkraftwerken, abgefangen werden kann. Denkbar nicht nur in Wüsten und Städten, auch in kleinen landwirtschaftlichen Betrieben oder Zuhause.

Aufnahmen aus dem Versuchscontainer der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Fotos: Sebastian Gabriel

Auch riesige, vollautomatisierte Farmen für die Industrie werden wohl die Zukunft sein. Mit beweglichen Regalen und ferngesteuerter Versorgung. „Menschen bringen Insekten, Sporen und Keime mit, das sollte man vermeiden“, so Mempel. Der Zukunftsgärtner einer solchen Vertical Farm wühlt nicht in Erde, er sitzt am Monitor, überwacht und steuert.

Was dem einen sein Labor ist dem anderen sein Apfelbaum

Ganz anders sieht der Alltag von Daniel Haser aus. An diesem windig kalten Tag schneidet der Landwirt seine Obstbäume, er schaufelt Stallmist und zersägt Baumstämme. Im Lager mischt sein Helfer Kaffeesatz an, um in gestapelten Eimern Austernpilze zu kultivieren. Auch Haser tüftelt an Ideen, wie er mit wenig Einsatz viel Ertrag erzielen kann. Auch er gehört zu den Menschen, die wir brauchen werden.

Portaitaufnahme von Daniel Haser mit grauem Filzhut und Stickjanker
Daniel Haser: Der junge Landwirt möchte sich diversifizieren und Nährstoffe optimal verwerten.
Foto: Sebastian Gabriel

Sein kleiner Hof liegt am Rande des oberbayerischen Bergdorfs Bad Bayersoien, mitten in den Ammergauer Alpen. Holzfassaden, geschnitzte Balkone, rauchende Kamine. Landwirtschaft bedeutet hier in der Regel Milchviehhaltung. Geliefert wird die Milch meist an die Molkerei Hochland, ein Käse-Lieferant von McDonalds. Das ahnen die Touristen sicher nicht, die hier Idylle suchen.

Daniel Haser blickt über seine Streuobstwiese, fast weht ihm der Filzhut vom Kopf. Er trägt eine graue Trachtenstrickjacke, darunter einen Jersey-Kapuzenpulli. Mit seiner Frau Steffi ist er viel herumgereist, hat die Welt gesehen, bevor sie 2015 den geerbten Hof übernommen haben.

Sie leben von der Direktvermarktung, denn ein vier Hektar kleiner Hof kann nur auf diese Art eine Familie ernähren. Der 31-Jährige möchte seinen Betrieb ausbauen. Nicht wachsen möchte er, sondern sich diversifizieren.

Unzählige Apfelsorten werden auf der Streuobstwiese von Bauer Haser wachsen. Die Bäume brauchen Pflege. Foto: Sebastian Gabriel

Noch ruhen die Beerensträucher verdorrt unter dem Schnee, bald werden hier Holunder und Johannisbeeren wachsen. 80 verschiedene Apfelsorten, Zwetschgen und Mirabellen möchte Haser ernten. Bienenvölker werden den Nektar der Obstblüten zu Honig veredeln. Zwischen den Bäumen wird Gemüse angebaut, Schweine und Hühner kommen dazu.

Obstler, Sirup, Honig, Eier, Fleisch, Eingemachtes und Frisches. Seine Produkte verkauft Haser direkt an Dorfläden und an die Gastronomie. Viel Arbeit, die er alleine nicht stemmen kann. Daher wurde die Genossenschaft Faustgrob & Piekfein e. G. gegründet. Die Mitglieder unterstützen Haser bei der Vermarktung. Der Hotelier im Ort verkocht seine Produkte, eine Bankkauffrau kümmert sich um die Finanzen, seine Frau um das Design.

How to do Austernpilze

Kaffeesatz wird mit den Hülsen von Kaffeebohnen und Kalk vermischt. Der Kaffeesatz kommt von der Dorfbäckerei, die Hülsen der Kaffeebohnen von einer Kaffeerösterei aus der Region. In dieses Gemenge werden die Pilze – hier Austernpilze – angesetzt und in gestapelten Eimern sich selbst überlassen. Das Ergebnis: Viel Ertrag auf wenig Fläche plus optimale Nährstoffverwertung.

Fotos: Sebastian Gabriel

Immer mehr junge Bäuerinnen und Bauern suchen die Unabhängigkeit. Das geht nur im Kollektiv. In den vergangenen Jahrzehnten sind viele neue Konzepte entstanden: Solidarische Landwirtschaft, genossenschaftliche Supermärkte, Crowdfarming. Nur abseits vom harten Preiskampf kann Landwirtschaft kostendeckend sein und gleichzeitig Klimaschutz und Tierwohl realisieren.

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Immer mehr Betriebe in Deutschland haben in den vergangenen Jahren die Umstellung auf Öko angepackt – auch wenn die Weichen der Agrarpolitik noch nicht auf Bio gestellt sind. BU und Grafik: Agrar-Atlas 2019, Bartz/Stockmar, (cc) BY 4.0

Derweil ist die deutsche Landwirtschaft noch weit von klimafreundlich entfernt. Die neue Bundesregierung hat sich ambitionierte Ziele gesetzt, um das zu ändern: darunter 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 und eine verbesserte Tierhaltung. „Wenn wir diese Ziele erreichen wollen, dann müssen wir unsere Landwirte mit öffentlichen Mitteln honorieren“, betont Jan Plagge, Präsident von Bioland, Deutschlands größtem ökologischen Landwirtschaftsverband. „Das Gemeinwohlgut Klimaschutz muss es uns wert sein.“

Nur abseits vom harten Preiskampf kann Landwirtschaft kostendeckend sein und gleichzeitig Klimaschutz und Tierwohl realisieren

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In den letzten elf Jahren hat der Anteil der ökologischen Landwirtschaft in der EU langsam zugenommen. Elf Jahre bleiben, um diesen Anteil auf ein Viertel der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche zu steigern. BU und Grafik: Pestizidatlas 2022, Eimermacher/Puchalla, (cc) BY 4.0

Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) definiert Regeln und Ziele für die Landwirtschaft aller Länder in der Europäischen Union. EU-Förderungen für landwirtschaftliche Betriebe basieren auf diesen Richtlinien. Gerade wird die GAP reformiert, jedes Land muss einen eigenen Strategieplan vorlegen. Die schlechte Nachricht: Der aktuelle Plan, den die alte Bundesregierung zu verantworten hat, biete kaum Anreize. „Die Fördersätze für die Umweltmaßnahmen sind viel zu gering“, bedauert Plagge. Noch kann der Strategieplan überarbeitet werden. Der Bioland-Präsident setzt sich dafür ein.

Verbraucher haben natürlich Macht. Bio und regional einkaufen, wenig aber hochwertiges Fleisch konsumieren. Das allein bringt sicherlich viel. „Die Mehrheit wird aber ohne Anreize nicht in nachhaltige Produkte investieren“, davon ist Jan Plagge überzeugt. Sollen die Preise für Bio-Produkte erschwinglich sein, geht das nur über einen Ausgleich durch Förderungen.

1971, als Bioland begründet wurde, wurde Jan Plagge geboren. Damals haben sich zwölf Männer und Frauen zusammengetan, um für eine nachhaltige Landwirtschaft zu kämpfen, die auf Pflanzenschutz verzichtet. 50 Jahre später erst ist die Erkenntnis in der Mitte der Gesellschaft angekommen, dass eine einseitige und industrielle Landwirtschaft nicht funktionieren kann. Ob die Politik ihre Versprechen einhalten wird, ist fraglich. Tröstend aber, dass es damals wie heute Menschen gibt, die nicht darauf warten.

Dieser Artikel ist im März 2022 im Magazin „Esquire“ erschienen.

Weiterführende Links:

Conie Morarescu –
studierte Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München und im Anschluss Politik und Agrarwissenschaften. Nach einer Ausbildung zur Zeitungsredakteurin machte sie sich als freie Autorin selbstständig und arbeitet seitdem für Zeitungen und Magazine wie die „Abendzeitung“, die „Süddeutsche Zeitung“ oder den „Esquire“. Sie berichtet besonders gern über Menschen und Projekte, die konstruktive Lösungen für gesellschaftliche oder ökologische Probleme suchen. Mehr auf coniemorarescu.de

 

Sebastian Gabriel –
wurde 1987 südlich von München geboren. Nach Abschluss seines Fotodesign-Studiums mit Schwerpunkt Reportage- und Portraitfotografie an der Hochschule München, arbeitet er seitdem weltweit als Fotojournalist für diverse Presseagenturen, Magazine und überregional führende Tageszeitungen. Nach Arbeiten für die European Pressphoto Agency mit Aufenthalt in New York lebt er heute in München. Mehr auf sebastiangabriel.com