Am siebten Tag ist es so weit. Denn genau sieben Tage alt sind die Ferkel, die hier in den Buchten des langgezogenen Stalls mit den blaugestrichenen Wänden herumwuseln und quieken. Einige von ihnen sind mit einem roten Farbklecks auf dem Rücken markiert. Es sind die kleinen Eber. Noch. „Dann hol’ ich mal das Skalpell“, sagt Karl Schweisfurth, Landwirt und Pionier des Ökolandbaus. Gemeinsam mit seiner Nichte führt er die Herrmannsdorfer Landwerkstätten im oberbayerischen Glonn. Sein Vater Karl Ludwig Schweisfurth hatte Herta, das größte fleischverarbeitende Unternehmen Europas, aufgebaut, es in den Achtzigern dann aber verkauft und auf dem alten Gutshof Herrmannsdorf einen Neustart hingelegt. Diesmal in Bio.
Auch in Sachen Ferkelkastration sind die Herrmannsdorfer Pioniere: Sie setzen das Betäubungsgas Isofluran ein. „Wir sind die einzigen in Bayern, die das machen“, sagt Schweisfurth. Heute sind es die männlichen Ferkel aus drei Würfen, die kastriert werden, insgesamt acht Stück. „Vergesst die Desinfektion nicht“, sagt Tierarzt Max Hartl, der die OP überwacht.
Zuvor haben die Tiere ein Beruhigungs- und ein Schmerzmittel bekommen. Die Praktikantinnen Lisa und Tamara holen die Ferkel, drei können gleichzeitig in der Betäubungsmaschine fixiert werden. Ein Schwenkmechanismus ermöglicht es, die Ferkel in der Maschine auf den Rücken zu drehen, dann werden ihre Mäuler in eine Maske geschoben, aus der bereits das Gas ausströmt. Schon nach wenigen Sekunden sind die Tiere bewusstlos.
Dann kommt das Skalpell zum Einsatz. „Das Wichtigste beim Schnitt“, erklärt Schweisfurth, „ist, dass er kurz, aber tief ist. Dann flutscht es besser raus.“ Dann noch den Samenstrang durchschneiden, und das Ferkel ist hodenlos. „Wir machen das seit zehn Jahren, wir hatten noch nie ein Ferkel, das eine Entzündung bekommen hat oder wegen der Narkose gestorben ist. Nie.“
Klingt gut. Trotzdem ist so eine Betäubung für einen knapp rechnenden Bauern natürlich nicht ohne. Die Anschaffung der Maschine, das Betäubungsmittel und vor allem die vorgeschriebene Anwesenheit des Tierarztes – das alles kostet. So kommt es, dass nach wie vor fast alle Landwirte ihre Ferkel ohne Betäubung kastrieren.
Dass Ferkel überhaupt kastriert werden, liegt an dem Geruch, das Eberfleisch entwickelt. Dabei sind sich auch Fachleute bei diesem Thema keineswegs einig. Während die eine sagen, jeder Eber entwickle den Geruch, und die meisten Menschen in Deutschland würden ihn auch wahrnehmen, sprechen die anderen von einem sehr geringen, einstelligen Prozentsatz der Tiere, die den Geruch aufweisen würden, den wiederum nur sehr wenige Leute feststellen könnten.
Dabei hätte die betäubungslose Ferkelkastration seit 2018 der Vergangenheit angehören sollen, ein entsprechendes Verbot war schon 2013 beschlossen worden. Doch wenige Wochen vor dem Stichtag verschob der Bundestag das Verbot noch einmal um zwei Jahre. Das Argument: Die Branche könne das Verbot noch nicht flächendeckend umsetzen. Eine Entscheidung, die bei Tierschützern und Experten gleichermaßen auf Unverständnis stieß. Schließlich hätten die Landwirte fünf Jahre Zeit gehabt, sich auf das Verbot einzustellen.
Die Alternativen
Neben der etwa in der Schweiz verbreiteten Betäubung mit Isofloran, gibt es weitere Alternativen zur betäubungslosen Kastration. Zum Beispiel die Improvac-Impfung, die in Australien gang und gäbe ist. Hier wird der heranwachsende Eber zweimal im Abstand von vier Wochen geimpft. Das zweite Mal vier bis sechs Wochen vor der Schlachtung. Die Spritze verhindert die Androstenon-Produktion im Hoden und somit auch die Entstehung des Ebergeruchs. Vorteil: Es braucht keinen chirurgischen Eingriff, und der Bauer kann die Spritzen selbst geben – ohne einen Tierarzt hinzuziehen zu müssen.
Aus Tierschutzsicht, findet Michaela Fels, Fachtierärztin und Schweine-Expertin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, sei das eine sehr gute Lösung. Kastrationen unter Vollnarkose oder örtlicher Betäubung seien dagegen keine überzeugenden Alternativen.
Die Ebermast, wie sie in anderen Ländern praktiziert wird, ist aus Tierschutzsicht natürlich die sauberste Lösung – doch bei deutschen Bauern höchst unbeliebt. Das Problem sei, so sagen viele von ihnen, die mangelnde Akzeptanz bei den Verbrauchern. Diese würden Eberfleisch nicht annehmen. Ist also der Verbraucher schuld? Ein Argument, das immer wiederkehrt in der Diskussion um Tierschutz in der Landwirtschaft. „Ich denke, das ist auch ein Problem der Information“, sagt Fels.
Sind die Fleischesser tatsächlich so schlecht informiert? Oder wollen sie es vielleicht gar nicht sein? Die Frage stellt sich bei vielem, was in Deutschlands Ställen passiert und man unter Tierschutzgesichtspunkten als fragwürdig bezeichnen könnte. Oder schlicht als Barbarei. Da sind zum Beispiel die 45 Millionen Küken, die jährlich, gerade erst geschlüpft, getötet werden. Die Schweine werden ihrer Ringelschwänzchen, die Rinder ihrer Hörner und die Puten ihrer Schnäbel beraubt. Selbst im Ökolandbau ist einiges davon nach wie vor die Regel.
In dreißig Jahren, sagt Landwirt Schweisfurth, habe er erst einmal einen Wurf gehabt, wo es zum Schwanzbeißen gekommen sei. Foto: Dominik Baur
Nicht in Herrmannsdorf. Fragt man Karl Schweisfurth nach den Grundsätzen der Haltung seiner 450 Schweine, ist die Antwort schlicht: „Platz, frische Luft, Licht, Regen, Stroh, und wenn’s geht, auch Weide zum Wühlen. Das ist eigentlich das Geheimnis des Ganzen.“ Die Schweine im Stall haben einen Außenbereich, den sie jederzeit aufsuchen können. Alle Schweine verbringen zumindest einen Teil ihres Lebens auf der Weide. Die Mastschweine etwa bleiben die letzten drei Monate auf der Weide – bis sie mit knapp einem Jahr geschlachtet werden.
Auch ihre Ringelschwänzchen dürfen sie bis dahin behalten. Dass Ferkel sie sich gegenseitig abbeißen, ist ein verbreitetes Problem in der Schweinehaltung. Deshalb ist es in der konventionellen Landwirtschaft Usus, ihnen den Schwanz in den ersten vier Lebenstagen abzuschneiden – ohne Betäubung, versteht sich. Schweine-Expertin Fels gibt zu, dass es keine einfache Alternative gebe. Das Problem sei multifaktoriell; man könne nie eine alleinige Ursache festmachen, müsse für jeden Betrieb eine individuelle Analyse machen. Selbst im Biobereich komme das Schwänzebeißen vor, wenn auch seltener. Es scheint zumindest zu helfen, wenn die Tiere mehr Platz, Stroh und Beschäftigungsmaterial haben und nach draußen können.
Aber ob Ferkelkastration, Kükentöten oder Enthornung – es scheint ein allgemeiner Konsens darüber zu bestehen, dass der Schutz unserer zum Verzehr bestimmten Tiere kein Wert für sich ist. Im Vordergrund steht die Wirtschaftlichkeit. Tierschutz gilt zwar als erstrebenswert – aber eher als nettes Zusatzfeature, das man mitnimmt, wenn es preisgünstig zu haben ist. „Wir müssen uns schon fragen“, sagt Fachfrau Michaela Fels, „ob wir nicht immer mehr unsere Tiere dem Haltungssystem anpassen als umgekehrt.“
Dieser Artikel ist die gekürzte Fassung eines Artikels, der im Mai 2019 im Magazin „natur“ erschienen ist.
Dominik Baur –
ist Bayern-Korrespondent der „taz“, schreibt aber als freier Journalist auch gern über Themen aus Umwelt und Gesellschaft. Mehr auf gschichten.de.